4. Propheten und Enthusiasten
a) Das Ende ist nahe
“Das junge Christentum war eine enthusiastische Bewegung, die das
baldige Kommen des Endes erwartete. Es war deshalb von vornherein nicht darauf ausgerichtet, Worte und Taten Jesu schriftlich zu fixieren, um sie späteren Generationen überliefern zu können. ”
Dass die ersten Christen in einer starken Naherwartung lebten, lässt
sich etwa in den Briefen des Paulus erkennen. Diese Erwartung hat aber Paulus nicht davon abgehalten, lange, überlegte Briefe zu schreiben.
Zum Vergleich: Die beiden längsten Paulus-Briefe, Römer und
1. Korinther, sind jeweils halb so lang wie das Markusevangelium oder das Johannesevangelium.
Die Naherwartung wird an mehreren Stellen dieser Briefe sichtbar. In Römer 13,12 heißt es: “Die Nacht ist weit
vorgerückt, und der Tag ist nahe.” In 1. Kor 1,7f: “… während
ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet, der euch auch befestigen wird bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus”. Angesichts dessen, dass die noch verbleibende Zeit kurz ist (1. Kor 7,29.31), rät Paulus zu einer entsprechenden Einstellung.
Paulus schrieb seine Briefe vermutlich ohne die
Erwartung sehr häufiger Lesung. So sind ja auch eine Reihe seiner
Briefe, vor allem die aus seiner 1. Wirkungshälfte, verlorengegangen
(vermutlich hat er schon vor ca. 50 n. Chr. Briefe geschrieben). Paulus nahm also die Mühe des Verfassens längerer Texte auf sich, auch wenn er seitens der Empfänger nur an eine einmalige Lesung dachte (oder an einige wenige Male).
Auch in den Evangelien finden wir Naherwartung
– zur Zeit ihrer Niederschrift standen die Christen in dieser Erwartung
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und schrieben dennoch die Evangelien. Die Naherwartung sehen wir etwa in Mt 10,23; 16,28; 24, 34.
Auch in der Offenbarung des Johannes finden wir Naherwartung: “Die Zeit ist nahe” lesen wir am Beginn (1,3) und am Ende (22,10). Trotzdem wurde sie geschrieben; in einer Länge, die fast an den Umfang des Markusevangeliums heranreicht.
Naherwartung finden wir auch bei den Essenern, die überzeugt waren, in der Endzeit zu leben. Die Funde ihrer Schriften in Qumran am Toten Meer zeigen aber, dass dort enorm viel geschrieben
wurde – etwa 8oo Texte blieben zumindest fragmentarisch erhalten. Wenn wir den Umfang vergleichen: Die umfangreiche Hymnenrolle lässt sich mit dem Markusevangelium vergleichen, andere Schriften (wie Sektenregel, Damaskus- Schrift oder Kriegsrolle) entsprechen etwa dem halben Markusevangelium.
Wir sehen auch hier, dass eine starke Naherwartung und reiche literarische Produktion einander nicht ausschließen.
Allerdings gelten zwei Einschränkungen: Die Essener hegten ihre Naherwartung seit ihren Anfängen im 2.Jh. v. Chr. – im Laufe der Jahrzehnte mussten sie die offensichtliche “Verzögerung” zur Kenntnis nehmen. Wenn einmal mehrere Jahrzehnte vergangen sind, ist es naheliegend, mit der Möglichkeit weiterer Jahrzehnte zu rechnen; dann erscheint aber auch literarische Produktion durchaus sinnvoll. Wurden die Qumrantexte zum Großteil
erst in späteren Jahrzehnten geschrieben, oder begleitete die intensive literarische Produktion diese Gemeinschaft von ihren Anfängen an?
Von einem Text wissen wir, dass er früh geschrieben wurde: Ein
Brief des Lehrers der Gerechtigkeit, geschrieben noch vor dem endgültigen Bruch der Gemeinschaft mit der religiösen Führung in Jerusalem. In der 4. Höhle wurden davon einige (noch unedierte) fragmentarische Abschriften gefunden.
Und noch ein zweites: Die Essener rechneten mit einem 40 Jahre dauernden eschatologischen Krieg, erst danach sollte Gottes
Gericht kommen (geschildert vor allem in der Kriegs–
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rolle). Schon allein im Hinblick auf diese 40 Jahre mag die Niederschrift von Texten sinnvoll erschienen sein.
Bei “Naherwartung” ist auch zu differenzieren:
Dass eine Naherwartung im Sinne von “Jesus kommt nach einigen Wochen oder Monaten” falsch war, wurde ja schnell bewusst – eben nach Verstreichen dieser Zeit. Wobei ein Niederschreiben kürzerer Texte – etwa der Passionsgeschichte – auch dann sinnvoll schien, wenn man nur mit einigen Monaten gerechnet hatte. Gibt es einen Hinweis darauf, dass es sich um eine Naherwartung im Sinne von “innerhalb weniger Jahre ist es soweit” handelte? Diese Haltung könnte ein Hindernis dafür darstellen, umfangreichere Bücher (wie Mt oder Lk) zu verfassen (aber kein Hindernis für die Niederschrift kürzerer Texte wie die synoptischen Perikopen). Oder war es lediglich eine Naherwartung: “Wir werden es noch erleben” (= es kann auch einige Jahrzehnte dauern)? Eine solche Erwartung
würde überhaupt keine Hemmung bedeuten, um Inhalte niederzuschreiben.
Es ist auch zu bedenken, wie kurz die irdische Wirkungszeit Jesu eigentlich war. Vor allem wenn man – wie viele Theologen
– annimmt, dass die 3-Jahres-Angabe bei Johannes nicht als historisch zu nehmen ist, daher eher von den Synoptikern auszugehen ist, bei denen man die Vorstellung von nur einem Jahr bekommen könnte. Versetzen wir uns in die Lage der Anhänger Jesu zurück: Diese waren ein Jahr lang mit Jesus gegangen, waren von ihm fasziniert, hofften auf große Veränderungen, die er herbeiführen werde. Nun sagt er zu ihnen: “Ich gehe kurz mal einen Sprung weg, komme aber gleich wieder.”Wieviel Zeit muss vergehen, bis die Anhänger merken: “Ganz so schnell geht es doch nicht?” Schon einige Monate werden ihnen lange vorkommen; sobald der Zeitraum, den sie mit Jesus verbracht hatten (1 Jahr?), seither nochmals vergangen war, mussten sie bereits das Empfinden der Parusieverzögerung haben. Nach einigen wenigen Jahren ist ihnen klar (abgesehen von der Möglichkeit, dass sie überhaupt enttäuscht resignieren): Die Wartezeit kann auch noch
wesentlich länger dauern,
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wir haben keine Garantie, ja nicht einmal einen Hinweis darauf, dass
es von jetzt an nur noch ein paar Monate dauern werde. Bei dieser Erkenntnis – die also spätestens nach wenigen Jahren kam – steht aber einem Niederschreiben auch längerer Texte nichts mehr im Wege.
Wenn Jesu Anhänger es als ihre Aufgabe ansahen, das Evangelium zu verbreiten, so konnten sie keine Wiederkunft Jesu innerhalb weniger Wochen erwartet haben. Insbesondere eine über Palästina hinausgehende Mission beansprucht Jahre oder gar Jahrzehnte – das muss ihnen bewusst gewesen sein. Und wenn sie auf einen zumindest einige Jahre währenden Zeitraum eingestellt waren, gab es sicher kein Hindernis für die Niederschrift auch längerer Texte.
Die Frage ist also: Sahen Jesu Anhänger die Mission als ihre Aufgabe an? Selbst wenn man den Missionsbefehl (in Mt 28,19f oder Apg 1,8) nicht auf Jesus selbst zurückführt, spricht doch sehr viel dafür, dass Jesu Anhänger ihre Aufgabe so sahen. Dass sie intensiv missioniert haben (bald auch über Palästina hinaus), ergibt sich – selbst wenn man von der Apg absehen will – allein schon aus dem Missionserfolg, der auch von heidnischen Quellen bestätigt wird. Man könnte auch noch eine Reihe von Einzelhinweisen
anführen (etwa Mk 13,10 oder 14,9), die zeigen, wie stark im frühen
Christentum diese Vorstellung vorhanden war.
Aus welchem Grund kann jemand etwas niederschreiben?
Betrachten wir wieder die Bibel der frühen Christen, das AT. In den
dortigen Schreibbefehlen finden wir dreierlei Zweck für ein Aufschreiben:
1. Für spätere Generationen (z.B. Ps 102,19; wohl auch Jer 30,2f). Dieser Zweck würde bei Christen, die in einer starken Naherwartung leben, natürlich wegfallen.
2. Zum Einprägen und sich daran Erinnern, z.B. 5. Mose 6,6-9: “Diese Worte sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen
reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der
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Straße gehst … Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses
und in deine Stadttore schreiben.”
Dieses sich selbst und seinen Angehörigen ständig Vergegenwärtigen der Gedanken Gottes muß auch den frühen Christen, von allem Anfang an, genauso sinnvoll erschienen
sein.
3. Zur Verkündigung – diese ist eigentlich auch schon im vorigen Abschnitt mitenthalten. Siehe auch die Schreibtafeln Jes 8,1 und Hab 2,2) oder Hesekiels Hölzer (37,16); in diesen Beispielen
geht es allerdings eher um demonstrative Unterstützung einer verkündigten Botschaft, nicht um das Festhalten einer ausführlichen Botschaft.
Literatur zur Naherwartung: Riesner 496f. – Zu den Paulusbriefen
vor 50:Werner Georg Kümmel, Einleitung in das Neue Testament
(201980), S. 216.
b) Der “Sitz im Leben” der ersten
Christenversammlung
“Was in den Evangelien als von Jesus gesprochenes Wort berichtet wird,
geht nur zum Teil auf Jesus selbst zurück. In den meisten Fällen
nämlich handelt es sich um Worte, die in den Jahrzehnten nach Jesu
Wirken im Rahmen des Gemeindelebens gebildet wurden; d.h. die christliche Urgemeinde bemühte sich, ihre eigenen Antworten auf in konkreten Situationen aufgebrochene neue Fragen auf Jesus zurückzuführen, und gab zu diesem Zweck eigene Überzeugungen, Deutungen und Eingebungen als “Jesusworte” aus. Um also ein solches sogenanntes “Jesuswort” richtig zu verstehen, muss man herausfinden, wo sein “Sitz im Leben” der urchristlichen Gemeinde war.”
Diese Annahme würde voraussetzen, dass die Urgemeinde, in deren
Kreisen die Evangelien verfasst wurden, keinen besonderen Unterschied gemacht hat zwischen der Zeit, als Jesus noch
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körperlich und für alle sichtbar unter ihnen war und der Zeit
danach, also der Zeit nach Jesu Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt.
Da die Auferstehung, also Ostern, der wesentliche Scheidepunkt ist, bezeichne ich im folgenden die beiden Zeiträume als “vorösterlich” bzw. “nachösterlich”. Wenn sich bei einer näheren Betrachtung des
NT aber herausstellt, dass die Verfasser der Evangelien und des übrigen NT sehr stark unterschieden haben zwischen “vorösterlich” und “nachösterlich”, so würde das gegen die Möglichkeit solcher nachträglichen Gemeindebildungen sprechen.
Es zeigt sich nun, dass die Berichte vieler Ereignisse und Aussprüche in den Evangelien begleitet werden von der Angabe von Kennzeichen, die nur für die Zeit vor Ostern zutreffen. Ich nenne sieben solcher vorösterlicher Kennzeichen:
1. In den Evangelien wird immer wieder hervorgehoben,
dass die Jünger vieles an den Worten und Taten Jesu nicht verstanden
– das ist etwas für die Zeit vor Ostern Typisches. Das Johannesevangelium schaltet oft Hinweise darauf ein, wie ein Ausspruch Jesu nach Jesu Auferstehung entweder sich erfüllt hat oder von den Jüngern verstanden worden ist (2,22; 7,39; 12,16). Und auch in den Aussprüchen Jesu selbst finden wir ausdrückliche Hinweise auf die Zeit nach Jesu Weggang (Joh 12,32; 16,12f.23f). Auch das zeigt, dass man im frühen Christentum durchaus geschichtlich denken konnte und den Abstand zwischen vor- und
nachösterlicher Zeit sah.
2. In der Zeit, in der die Evangelisten schreiben, sind Petrus, Jakobus und Johannes, ja das ganze Kollegium “der Zwölf”
bekannte Männer in der Kirche. Man spricht mit Ehrfurcht von ihnen, und man erzählt von ihrem Geist und ihrer Kraft (Apg 2,43; 4,31; 5,15). Aber wo die Evangelisten Jesu irdische Wirksamkeit schildern, beschreiben sie Petrus und Jakobus und Johannes und das ganze Kollegium “der Zwölf” nicht als große Männer, sondern als auffallend schwach, unwissend, unverständig und unreif (Petrus verleugnete Jesus, Jesu Bruder Jakobus glaubte überhaupt nicht an ihn …).
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Zwar werden auch deren “nachösterliche” Fehler nicht verheimlicht,
doch hinterlassen sie einen wesentlich besseren Gesamteindruck.
Es spricht für die Ehrlichkeit und Sachlichkeit des jungen Christentums, dass es sich der Fehlbarkeit seiner Führer voll bewusst war. Jedenfalls konnte es klar unterscheiden zwischen
der Gegenwart, wo Petrus, Jakobus und andere Jünger “Säulen”
waren, und der Zeit davor, wo in der Nähe zu Jesus manche gravierende Fehler deutlich wurden und sie zu lernen begannen, diese abzulegen.
3. Als der “irdische”, der “vorösterliche” Jesus seine Jünger aussandte, befahl er ihnen, sich auf Israeliten zu beschränken und nicht zu Heiden oder Samaritanern zu gehen (Mt 10,5f). Das gleiche Evangelium berichtet, dass der auferstandene, der “nachösterliche” Jesus die Mission der ganzen Welt anordnete (28,18-20). In Übereinstimmung mit diesem Weltmissionsbefehl sehen
wir in der Apostelgeschichte des Lukas, dass die Heidenmission seit den Anfängen der Urgemeinde eine große Rolle spielte. Wir beobachten hier also zwei deutlich voneinander unterschiedene Zeitabschnitte: vor Ostern einerseits (nur Judenmission) und nach Ostern andererseits (auch Heidenmission). Die nachösterliche Situation wird keineswegs in die Zeit vor Ostern zurückverlegt.
4. In der Apostelgeschichte lesen wir von einer
Reihe wichtiger Praktiken und Fragen: etwa von der Taufe, die von der Urgemeinde von Beginn an praktiziert wurde (2,41) – doch kein Wort des “vorösterlichen” Jesus gebietet die Taufe. Die Themen “Beschneidung” oder “Zungenreden” beschäftigten die urchristlichen Gemeinden überaus stark (vgl. Apg, 1. Kor, Gal) – dennoch wurde nicht versucht, dem “vorösterlichen” Jesus auf diese Themen bezügliche Aussprüche in den Mund zu legen. Alles, was wir in den Evangelien darüber finden, sind kurze Erwähnungen durch den “nachösterlichen”, aber noch nicht in den Himmel aufgefahrenen Jesus. Und auch diese nur kurzen Erwähnungen
so wichtiger Themen finden sich jeweils
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nur bei einem einzigen Evangelium: über die Taufe bei Matthäus
(28,19) und über das Zungenreden bei Markus (16,17).
“Es ist im Grunde erstaunlich, wie wenig die ,Bedürfnisse’ der Gemeinden, wie wir sie aus den neutestamentlichen Briefen kennen, in den synoptischen Evangelien hervortreten. Oft muss
man sie gewaltsam in die synoptischen Texte hineinlesen” (Martin Hengel).
5. Die Gleichnisse Jesu spiegeln weithin jene sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten wider, die typisch waren für
das ländliche Galiläa, obwohl die Urgemeinde ihr erstes Zentrum
in Jerusalem hatte und die Mission des 1.Jahrhunderts fast ausschließlich die hellenisierten Städte erreichte (z.B. Antiochien). Wären die sogenannten “Worte Jesu” hauptsächlich spätere Gemeindebildungen, dann wäre in den Gleichnissen eher ein großstädtischer, hellenistischer Hintergrund zu erwarten.
6. Von den Jüngern heißt es, daß sie Jesus “nachfolgten”. Dieser Begriff (nachfolgen = griech. akoluthéo) wird nur für die Begleiter des irdischen, des “vorösterlichen” Jesus verwendet (mit einer einzigen Ausnahme: Offb 14,4). Dieser der Zeit vor Ostern eigene Sprachgebrauch deutet ebenfalls daraufhin, dass man diese Zeit als etwas Besonderes, Einmaliges ansah.
7. Jesu Körper wird vor seinem Leiden noch
gesalbt – mit einem Salböl, das so teuer war (etwa ein Jahresgehalt!),
dass das Empfinden, es handle sich um eine Verschwendung, durchaus verständlich ist. Eine solche irdische Aufmerksamkeit kann natürlich nur dem “vorösterlichen” Jesus zugewandt werden; der irdische Jesus wurde noch zur Zeit der Niederschrift
aller Evangelien (alle 4 enthalten diesen Bericht) so wichtig genommen, dass die einmalige Chance, an diesem Irdischen Gutes zu tun, auch einen noch so hohen Aufwand rechtfertigt.
Literatur zum Jünger-Unverständnis: Riesner 31. – Zum
Ansehen der Zwölf: Birger Gerhardsson, Die Anfänge der Evangelientradition (1977), S. 32-34.44f. – Zur Heidenmission: Riesner
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37.421. – Zu Gemeinde-Bedürfnissen: 37.421 und Martin Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (21984), S. 29. – Zu
Gleichnissen: Riesner 94. – Zum Nachfolgen: 421f.
c) Die wunderbare Worte-Jesu-Vermehrung
“Diese enthusiastische Bewegung wusste sich so sehr im Besitz
des Geistes Jesu, dass sie keinen besonderen Unterschied machte zwischen Worten des ,irdischen’ und solchen des ,erhöhten’ Jesus; d.h. es
war gleichgültig, ob Jesus sie während seines Erdenlebens vor
Ohren- und Augenzeugen gesagt hatte oder ob sie nach Jesu Himmelfahrt von Propheten aufgrund von Eingebungen des Heiligen Geistes verkündet wurden – beides ging ja letztlich auf Jesus zurück. “
Wir haben es hier mit einer grundsätzlichen Frage zu tun: Inwieweit
spielten für die junge Bewegung präzise Lehr-Inhalte eine Rolle? Die Annahme, dass die von christlichen Propheten verkündeten
Worte ohne weiteres mit den Worten des “irdischen” Jesus gleichgestellt wurden, kann man kurz als Propheten-Hypothese bezeichnen. Gegen diese Hypothese spricht:
Erstens die im Zusammenhang mit dem “Sitz im Leben” besprochene Unterscheidung zwischen der Zeit vor Ostern und der Zeit danach. Eine solche bewusste Unterscheidung erschwert die völlige Gleichstellung von “vorösterlichen” Worten Jesu (solchen Worten, die der irdische Jesus vor Augenzeugen gesprochen hatte) einerseits und nachösterlichen Worten Jesu (solchen Worten,
die ein urchristlicher Prophet unter Berufung auf Jesu Geist gesprochen hatte) andererseits.
Zweitens: Gemäß der Propheten-Hypothese wäre zu erwarten,
dass die Propheten die führende Stellung in der Urgemeinde
einnahmen. Warum? Halten wir uns einmal vor Augen, wie die
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frühe Kirchengeschichte gemäß der Propheten-Hypothese
ausgesehen hätte: Nach Jesu Himmelfahrt erinnerte man sich noch an einige (eher wenige!) Aussprüche Jesu. Bei vielen neuen Fragen wusste man nicht, wie Jesus darüber dachte. In solchen Fällen fragte die Gemeinde ihren erhöhten Herrn Jesus, den man sich in Gottes himmlischer Welt vorstellte. Die Antworten Jesu wurden durch den Mund der Propheten gegeben, d.h. diese Propheten stellten das Sprachrohr Gottes dar, wodurch die Urgemeinde viele Worte Jesu (wohl die meisten!) erfuhr. Soweit der Ablauf gemäß der Propheten-Hypothese. Wenn wir uns jedoch dem NT zuwenden, erkennen wir, dass zwar gelegentlich zeitgenössische Propheten erwähnt werden (wie etwa Agabus in der Apg), doch lässt sich deren Stellung in keiner Weise vergleichen mit der maßgeblichen Rolle, welche die Augenzeugen des “irdischen” Jesus, vor allem die “Zwölf”, hatten. Das zeigt, wie wichtig es genommen wurde, mit dem “irdischen” Jesus zusammengewesen zu sein, seine Worte gehört zu haben, von ihm beauftragt worden zu sein!
Drittens: Wir finden im NT auch immer wieder Warnungen vor falschen Propheten und die Aufforderung zu prüfen. Das zeigt, dass zur Zeit der Niederschrift der ntl. Bücher die Notwendigkeit, zu unterscheiden, bewusst war.
Denken wir an Jesu Endzeitrede: “Seht zu, dass
euch niemand verführe! Denn viele werden unter meinem Namen kommen … und viele falsche Propheten werden aufstehen und werden viele verführen;
… es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen …” (Mt
24,4f.11.24). Oder Paulus bei seiner Aufzählung der Charismata: “einem anderen aber Prophezeiung, einem anderen aber Unterscheidungen der Geister” (1.Kor 12,10) und: “Prophezeiungen verachtet nicht, prüft aber alles” (1.Thes 5,20f). Oder Johannes: “Glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen” (1.Joh 4, 1).
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Insofern waren prophetische Worte von vornherein “benachteiligt” gegenüber Worten des “irdischen” Jesus, was ihre Einflussmöglichkeiten betrifft:
bei prophetischen Worten bestand eine zusätzliche Irrtumsmöglichkeit, die bei von mehreren Zuhörern bezeugten Worten Jesu wegfiel. Da prophetische Worte zunächst geprüft werden mussten, ist es von vornherein unwahrscheinlich, dass eine große Zahl solcher Worte (etwa der Großteil der im NT berichteten Jesus-Worte) auf diesem Weg zur Anerkennung gelangten. Die mit geistgewirkten prophetischen Weisungen
außerdem noch verbundene Unsicherheit, ob sie richtig verstanden werden, sehen wir auch im NT selbst, und zwar als Paulus auf dem Weg nach Jerusalem war (Apg 20,22-25; 21,4; 21,11-14). Viertens: Das AT warnt vor falschen Propheten. “Prophet gegen Prophet” heißt ein Buch, das die zahlreichen atl. Texte analysiert, in denen es um falsche Propheten geht. Für die frühen Christen war das AT die Heilige Schrift.
Diese lasen sie, darin lebten und dachten sie. Von daher hatten sie auch eine klare Vorstellung, wie mit Worten Gottes umzugehen ist: Sie dürfen keinesfalls verändert werden. Wenn jemand ein Wort Gottes erhält und sich davon abbringen lässt aufgrund eines angeblichen neueren Wortes Gottes, der begibt sich in Lebensgefahr! Das sehen wir in 1. Könige 13: Ein “Mann Gottes aus Juda” sprach gegen den Altar von Bethel, auf dem König Jerobeam räucherte. Er gibt seinen Auftrag genau wieder:
Er soll unterwegs kein Brot essen und kein Wasser trinken (13,9.17). Ein anderer Prophet belog ihn aber und teilte ihm ein “neues Wort Gottes” mit (13,18). “Der Mann Gottes aus Juda” hörte auf diesen falschen Propheten und musste das mit dem Leben bezahlen.
Die Historizität dieser Geschichte steht hier nicht zur Diskussion. Die Juden im 1.Jahrhundert, ebenso die frühen Christen, lasen diesen Bericht und glaubten ihn. Von daher hatten sie eine genaue Vorstellung, was das Akzeptieren neuer “Worte Gottes” betrifft;
insbesondere solcher, die im Widerspruch zu
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bekannten Worten Gottes (hier: Worten Jesu) standen. Der atl. Bericht erinnert übrigens an Galater 1,8 – wo Paulus davor warnt, ein anderes Evangelium zu verkündigen; es gibt also bestimmte, richtige Inhalte;
davon abweichende sind als falsch abzulehnen!
Jedenfalls waren den ersten Christen vom AT her die Gefahren falscher Propheten bewusst; Gefahren für die vom Propheten Verführten, aber auch für den Propheten selbst. Von daher ist das Auftreten einer großen Zahl von Propheten gar nicht zu erwarten.
Überblicken wir flüchtig die Stellen über falsche Propheten. Wir stellen dabei fest: Die Tätigkeit der wahren Propheten wird häufig begleitet, konkurriert, behindert durch falsche Propheten. Der auf Prophetie achtende AT-Leser wurde zwangsläufig auf dieses Nebeneinander aufmerksam und war somit auch permanent mit der
Erscheinung konfrontiert, dass es neben wahrer Prophetie auch falsche gibt.
Im Gesetz finden wir Kriterien zur Unterscheidung wahrer und falscher Propheten, verbunden mit der Anordnung der Todesstrafe
für falsche (5.Mo 13,2-6; 18,20-22).
Und in den prophetischen Büchern? Im Propheten Jesaja findet man kaum Warnungen vor falschen Propheten. Zwar nicht so bekannt wie Jesaja, aber doch auch vielgelesen war Jeremia –
wie ntl. Zitate in Matthäus, Hebräerbrief, 1. und 2. Korintherbrief
zeigen. Dieses Buch weist bei weitem die meisten Texte auf, die von einem Konflikt zwischen Propheten zeugen.
“Da sprach Jahwe zu mir: ,Lüge weissagen die Propheten in meinem Namen. Ich habe sie nicht gesandt und sie nicht
beauftragt und nicht zu ihnen geredet. Lügengesicht, nichtige Wahrsagerei und selbstersonnenen Trug weissagen sie euch. …durch Schwert und Hunger werden diese Propheten umkommen'” (14,14f).
(Ähnlich auch in 2,8; 5,31; 6,13-15; 23,16-32; 27,9f.14-18; 29,8f.21-32; 37,19; Kla 2,14.)
Der Prophet Hananja trat einer Prophetie Jeremias
mit einer
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widersprechenden entgegen. Ergebnis: “Im 7.Monat desselben Jahres starb der Prophet Hananja” (Kap. 28).
Weniger häufig gelesen wurde Hesekiel; auch darin wird gelegentlich die Möglichkeit der Falschprophetie
erwähnt (12,24; 13; 14,9f; 22,28).
Das Zwölfprophetenbuch scheint in
ntl. Zeit recht intensiv verwendet worden zu sein – im NT finden sich
viele Zitate daraus. Micha predigt gegen falsche Propheten (3, 5-7.9.11), auch Sacharja weist auf die Gefahr hin, in der sich ein falscher Prophet befindet (13,2-6).
Betrachten wir abschließend noch die Geschichtsbücher.
Micha warnt vor einem Feldzug gegen Aram, 400 Propheten raten zu (1.Kön 22,1-28); Nehemia durchschaut eine falsche Vorhersage als Falle (Neh 6,12).
Fünftens: Im AT finden wir des öfteren Dialoge zwischen Gott
und einem Menschen, wobei der Dialog dadurch eröffnet wird, dass
der Mensch eine Frage an Gott richtet, und zwar Gottes Ansicht betreffend:
Etwa bei Mose, bei David oder bei einigen Propheten. Der Normalfall
ist diese Dialogform aber auch im AT nicht; ein Dialog zwischen Gott
und einem Menschen wird zumeist durch Gott eröffnet.
Im NT finden wir eine solche Dialogform (der Mensch eröffnet einen Dialog mit Gott) überhaupt nie, obwohl es eine ganze Reihe von Gelegenheiten dazu gegeben hätte. In der Apostelgeschichte lesen wir von mehreren Situationen, wo es naheliegend gewesen wäre, einen Dialog der beschriebenen Art anzustreben: bei der Bestimmung eines Ersatzapostels (1,15-26), bei der Versorgung der
hellenistischen Witwen (6,1-6), bei der Frage der Beschneidung der Heiden (15,1-29) usw. In all diesen Fällen wird nüchtern berichtet,
wie man – ohne ein Wort Jesu zu haben – zu einer Lösung zu kommen
versuchte. Weder tritt hier ein Prophet auf, der spontan ein neues “Wort Jesu” verkündet, noch sieht der Bericht so aus, dass jemand auf ein Wort des irdischen Jesus zurückverweist (wohinter man
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dann eventuell eine Rückprojektion vermuten könnte). Als Paulus
Anfragen der Korinther beantwortet, verweist er zwar darauf, dass
er den Geist Gottes besitzt, stellt aber bei einer bestimmten Frage ausdrücklich fest, dass er dazu kein Wort Jesu besitzt (1.Kor,40.25).
Es stellt dem frühen Christentum ein gutes Zeugnis aus, dass es so scharf unterschieden hat zwischen Jesusworten und den Ansichten von göttlich beauftragten Menschen (wie z.B. Paulus).
Sechstens: Die Vorstellung vom jungen Christentum als einer enthusiastischen Bewegung hat Ähnlichkeiten mit dem, was man heute in der sog. charismatischen Bewegung erleben kann. Auch dort treten “Propheten” auf. Solche Prophetien beinhalten zum Großteil allgemeine Aussagen, wie sie jeder Bibelleser machen könnte – bloß in veränderter Form: eventuell wird “Der Herr spricht: …” an den Beginn gesetzt, und der Inhalt in “Ich”-Form wiedergeben (also Gott selbst als der Redende hingestellt); etwa: “Wenn ihr an mir festhaltet, werde ich euch reich segnen …” Gelegentlich kommen
zwar auch konkrete Vorhersagen vor, diese sind dann aber auch dem Test der Wirklichkeit unterworfen. Was nach meiner Beobachtung seltener vorkommt:
Dass zur Zeit einer Diskussion über eine bestimmte Streitfrage in
einer Gemeinde jemand als Prophet aufsteht und sagt: “Der Herr hat mir jetzt gezeigt, er will das und das.” Warum kommt das eigentlich nicht öfter vor? Hier wäre von vornherein mit Widerstand zu rechnen.
Die Andersdenkenden sind von ihrer Meinung als gottgewirkt genauso überzeugt.
Gerade in einer solchen Situation würde eine solche “Eingebung” sehr argwöhnisch betrachtet werden; die Vermutung, dass jemand seine eigene Vorstellung nun Gott in den Mund legt, drängt sich dann stark auf.
Die Chance, dass tatsächlich ein solches Wort die Streitfrage
beenden könnte, ist gering. Diese Chance wäre eigentlich überhaupt
nur dann gegeben, wenn ein bestimmter Prophet von vornherein eine her-
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ausragende Stellung hat, so dass seine Prophetien kraft seiner
Person (nicht aufgrund des Inhalts der Prophetien) akzeptiert werden.
Aber gerade eine derart herausragende Stellung hatten Propheten nicht nach allem, was das NT uns zeigt.
Jedenfalls sollte bei der Propheten-Hypothese bedacht werden, dass beim Aufkommen von Streitfragen in der frühen
Christenheit zumeist auch schon bestimmte Antworten seitens einiger Christen vertreten wurden – mit der entsprechenden Schwierigkeit für einen “Propheten”, seine Ansicht bei der Gegenseite durchzubringen. Sollte man wirklich annehmen, dass alle Christen in einer solchen Frage noch völlig “neutral”, völlig ahnungslos bezüglich einer möglichen/vermutlichen Antwort waren – mit entsprechender Offenheit für eine die Frage klärende
Prophetie?
Siebtens: Wenn im NT der Inhalt einer Prophetie angegeben wird, wird stets der Name des Offenbarungsempfängers mitgenannt (Apg 10,19; 11,12.28; 13,2; 21,4.11; Offb 1,1). Bei den Evangelien, den Berichten über das Leben des irdischen Jesus, war die Angabe des Verfassers weniger wichtig (die Evangelien enthielten ursprünglich keine Verfasserangaben;
die Überschriften, wie “Evangelium nach Matthäus”, wurden nachträglich hinzugefügt), weil sie von Ereignissen erzählen, die von mehreren Augenzeugen bestätigt werden konnten. Eine Offenbarung bzw. eine Prophetie dagegen empfängt meistens nur ein einzelner. Dass der Name des Offenbarungsempfängers (des sog. “Offenbarungsträgers”) mitgenannt wird, verhindert aber, dass der Inhalt solcher Offenbarungen unterschiedslos mit Worten des irdischen Jesus vermischt wird. Achtens: Gesetzt den Fall, die frühen Christen hätten wirklich nicht so genau unterschieden: Geistgewirkte Aussprüche ihrer Propheten gehen genauso auf Jesus zurück und werden daher einfach diesem in den Mund gelegt. Was wäre zu erwarten? Diese Aussprüche hätte man irgendwann gesammelt, in einer
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Art Logien-Sammlung ohne Rahmenhandlungen. Man hatte schließlich
nur diese Aussprüche “von Jesus”, Rahmenhandlung (mit dem irdischen Jesus) hatte man dazu ja nicht.
Alles weitere, was über eine solche Logien-Sammlung
hinausging, war dann schon der bewusste Versuch zu täuschen
– man muss sagen: ein Betrug. Denn gemäß der Propheten-
Hypothese wurden zu diesen Aussprüchen “von Jesus” dann noch Rahmenhandlungen erfunden, damit diese Aussprüche auch wirklich so erscheinen, als hätte sie bereits der irdische Jesus gesprochen. Das wäre dann nicht bloß ein mangelndes Unterscheiden (ob es auf den irdischen oder auf den erhöhten Jesus zurückgeht), sondern ein zielgerichtetes Täuschungsmanöver.
Mitunter wird betont, dass etwas vor Ostern geschah, etwa durch Beifügungen wie “sie verstanden es (noch) nicht”. Die Betonung des “vorher” fällt besonders bei Vorhersagen auf. Jesus sagt etwa: “Denkt daran: Ich habe es euch vorausgesagt” (Mt 24,25). Wenn das einem nachträglichen “Wort Jesu” hinzugefügt worden wäre, dann würde bewusst getäuscht. Im Johannesevangelium werden diese Vorhersagen im vorhinein zu einer Glaubenshilfe: “Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen
ist, glaubt: Ich bin es” (13,19; ähnlich in 14,29 oder 16,4). Wenn
das nachträglich so geschrieben wurde, handelte es sich um absichtliche Irreführung.
Gleiches würde gelten, wenn eine Geschichte
zusätzlich mit dem Hinweis versehen wird, Jesus selbst habe angekündigt, dass diese Geschichte dereinst erzählt werden wird, dies aber erst nachträglich ihm in den Mund gelegt worden wäre (Mk 14,9).
Neuntens: Selbst wenn Jesu Anhänger auf die Aufbewahrung seiner
Worte nicht genug achteten und somit nach einigen Jahr(zehnt)en sich nur noch an einige wenige, besonders zentrale Aussprüche Jesu erinnern konnten: Dann wäre es noch immer möglich gewesen, dass sie sich auf diese zentralen Aussagen beschränkt hätten (da ihnen
die anderen ja ohnehin offenbar nicht
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so wichtig gewesen waren …) und sich im übrigen auf Erläuterung
und Entfaltung dieser zentralen Aussagen beschränkt hätten.
Zur Produktion weiterer Aussprüche Jesu und zum Jesus- in-den-Mund-Legen ist es auf jeden Fall noch ein weiterer Schritt. Eigentlich ein überflüssiger Schritt, denn die wichtigsten Worte wusste man ohnehin schon auswendig (bzw. konnte sie auf einige Papyri zusammenschreiben); und soweit Bedarf nach neuen Antworten war, wusste man sich ohnehin im Besitz des Geistes,
so dass man diese Antworten direkt erhielt. Hier müsste man
also noch zusätzlich annehmen, dass es im letzten Viertel des 1.Jahrhunderts einen Umschwung gab: Konsolidierung, Erstarrung, Institutionalisierung, Amt statt Geist …
Schrieb man etwa deshalb alles auf, weil die letzten Augenzeugen des Wirkens Jesu starben? Aber auf diese kurze Zeit (ein Jahr?) öffentlichen Wirkens Jesu konzentrierte man sich doch ohnehin nicht? (Da ja derselbe Jesus auch nach seiner Himmelfahrt noch
sprach und diese nachträglichen Aussprüche viel zahlreicher
festgehalten wurden, also offenbar wichtiger genommen wurden.) Außerdem beteiligte man die Augenzeugen angeblich ohnehin nicht am Abfassen der Evangelien.
Zehntens: Aus der Sicht der Propheten-Hypothese war das Wirken Jesu gar nicht besonders herausragend. Dadurch ergibt sich die Frage: Warum wurde Jesus nachträglich derart überhöht?
Hatte Jesus Wunder getan? Ja, aber auch seine Nachfolger waren Wundertäter; Jesus hatte dazu in den Augen derer kein Monopol, die die neutestamentlichen Bücher schrieben.
Lehren? Einige Jahrzehnte nach Jesu Auftreten waren noch einige seiner Aussprüche in Erinnerung, aber der Großteil der umlaufenden “geistgewirkten Worte” ging auf andere Menschen zurück – so herausragend können also seine Aussprüche nicht gewesen sein, wenn sie (großenteils) so schnell vergessen waren bzw. zum anderen Teil ihnen viele andere Aussprüche als gleichwertig zur Seite gestellt wurden.
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Missionserfolg? Dieser war durchaus gegeben:
Am Ende des Lebens Jesu gab es einen “harten Kern” und darüber hinaus noch Sympathisanten; alles in allem vielleicht einige hundert Menschen. Jedenfalls waren seine Anhänger nach ihm, etwa Petrus oder Paulus, erfolgreicher; diese gewannen Tausende hinzu. Jesus hätte diese Chancen auch gehabt, aber auf die politischen Erwartungen derer, dessen Aufmerksamkeit er erregt hatte, wollte oder konnte er nicht eingehen. Die Apostel hatten ihm gegenüber sicher den Vorteil, dass ihre Wirkungszeit länger war.
Es bleibt also lediglich, dass Jesus der Begründer der Bewegung war; nach mehreren Jahrzehnten muss sein Wirken aber auch schon ziemlich verblasst gewesen sein (angesichts dessen, dass leitende Persönlichkeiten nach ihm mehr taten und deren Wirken noch nicht so lange zurücklag).
Wenn man den “Ahnherrn” der Bewegung in dankbarer
Erinnerung behalten wollte, so hätte die Verehrung eines Propheten
vollauf genügt. Durch eine Gleichsetzung Jesu mit Gott/Jahwe (oder
zumindest ein Nahe-an-Gott-Heranrücken) bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Monotheismus kam man ja in große lehrmäßige Schwierigkeiten, die schließlich in die Trinitätslehre mündeten. Wozu nahm man freiwillig diese – aus Sicht der Propheten-Hypothese – überflüssigen Schwierigkeiten auf sich?
Und schließlich: Warum wurde der Bestand an “geistgewirkten Worten” bei der Abfassung der Evangelien ausschließlich auf Jesus zurückgeführt?
Man hätte sie auf den jeweiligen Propheten zurückführen oder sie überhaupt anonym lassen können. Wer meinte, etwas zu sagen zu haben, hätte auch in eigenem Namen einen Brief schreiben können – ein solcher konnte durchaus eine beachtete Rolle spielen. Das NT enthält Briefe unter den Namen von 5 verschiedenen
Männern (abgesehen von den “Jesusbriefen” in Offb 2 und 3). Die Bereitschaft, Botschaften von Männern ernst zu nehmen, die nicht unter dem Namen Jesu liefen – ja
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nicht einmal sich darauf beriefen, göttliche Offenbarung zu sein
-, war also durchaus vorhanden.
Gerade wenn sich urchristliche Propheten auf den Geist beriefen, der nun “in die ganze Wahrheit leiten” soll (Joh 16,13), hätten sie (oder die Hörer) es durchaus nicht nötig gehabt, ihre Aussprüche mit dem irdischen Jesus in Verbindung zu bringen.
Der Geist sprach früher durch den irdischen Jesus, und nun spricht
er durch christliche Propheten – aber es ist derselbe Geist. Mit dieser Vorstellung hätte man sich durchaus anfreunden können. Und wenn man sich ohnehin auf Jesu Ankündigung des Geistes berief, dann konnte man damit auch die eigene Eingebung legitimieren. Es bestand also überhaupt keine Notwendigkeit, das jeweilige prophetische Wort auf Jesus zurückzudatieren.
Warum versetzte man bestimmte Worte in die Zeit vor Ostern? Es war den Christen doch angeblich gar nicht wichtig, ob sie
wirklich auf den irdischen Jesus zurückgingen? Zu bedenken ist auch
folgendes: Gehen wir von der Annahme aus, dass die in den Evangelien enthaltenen “Jesusworte” in Wirklichkeit zum Großteil Aussprüche frühchristlicher Propheten waren. Die tatsächlichen Worte des irdischen Jesus wurden demnach nicht besonders wichtig genommen – kurze Zeit danach hatte man sie schon vergessen. Wesentlich wichtiger erschienen die Worte des erhöhten Christus (ausgesprochen durch “im Geist” redende
frühchristliche Propheten). Von diesen Worten wurden viele aufbewahrt und niedergeschrieben. Warum dann dieser eigenartige Zwang, diese Worte des
erhöhten Christus unbedingt dem irdischen Jesus in den Mund legen zu müssen? Wenn doch dessen Aussprüche ohnehin nicht so besonders wichtig schienen? Ein solches In-den-Mund-Legen wäre ja geradezu eine Abwertung dieserAussprüche – eine Abwertung in einem Milieu, das die historischen Worte des irdischen Jesus nicht besonders wichtig genommen hatte, die Worte des Erhöhten dagegen sehr.
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Elftens: In diesem Zusammenhang sollte auch folgendes mitbedacht werden:
Wenn der “Heilige Geist” erwähnt wird, denken manche schnell an Ekstase und Schwärmerei. Doch lassen wir uns an Joh 14,26 erinnern – dort hören wir von der traditionswahrenden Funktion des Heiligen Geistes:
“Der heilige Geist … wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.”
Literatur dazu: Riesner 9-11 (Propheten-Hypothese).
72.85f. §11 (hl.Geist) – Frank Lothar Hossfeld/Ivo Meyer, Prophet gegen Prophet. Eine Analyse der alttestamentlichen Texte zum Thema: Wahre und falsche Propheten (1973).
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Anmerkung zur Naherwartung: Sie zeigt sich an über 25 Stellen im NT. Wenn man die Stellen genauer betrachtet (z.B. auch die Endzeitrede), stellt man fest, dass immer auch von einem baldigen Strafgericht über Jerusalem und den Tempel die Rede ist. Jesus selbst kündigte dies dem Hohepriester und auch auf dem Weg zum Kreuz an. Wenn man in die Geschichtsbücher schaut, stellt man fest, dass im Jahr 70 Jerusalem + Tempel in einem wahren Strafgericht zerstört wurde. Die Zeit des Mosaischen Judentums wurde so beendet. Fragten die Jünger Jesus nicht nach dem Ende der Zeit (gr. aeon = Zeitalter) und dem Gericht, also dem Ende des Alten Bundes? Übersetzte man es nicht dann als Ende der Zeiten/Welt?