1848. Die von Frankreich ausgegangene Freiheitsbewegung verpflanzte sich nach Deutschland und auch auf die Dörfer des Westerwaldes. Die Forderungen der Liberalen an die nassauische Regierung lauteten auf Allgemeine Volksbewaffnung, unbedingte Pressfreiheit, freies Vereinsrecht, öffentliches mündliches Verfahren mit Schwurgerichten, Religionsfreiheit und anderes. Die Bauern wollten ferner "die Vertreibung der Schultheißen, Verweigerung der Steuern, freies Jagd- und unbeschränktes Holzungsrecht". Die Ärmeren glaubten jetzt bei den Reichen mal "in die Mühle stellen" zu können, aber diese dachten an die Holzaxt. (So traf z.B. Gabriels [Beckers] Hannes die Gebrüder Johs Kolb [Orthmanns] und Joh. Pet. Kolb [Altescholtese] auf der Straße und sagte zu ihnen: "Nun, Ihr zwei, zu wem soll ich nun zuerst kommen und in die Mühle stellen?" Altescholtese Kolb entgegnete ihm: "Komm zuerst zu mir, dann brauchst du zu ihm nicht mehr zu gehen!"
-) Zu größeren Ausschreitungen ist es aber in Breitscheid nicht gekommen, was auch der Lehrer Kreuter in der Schulchronik lobend hervorhebt. Als der Gerichtsvollzieher wie gewöhnlich im Dorf auftaucht, rief der "schwarze Reeh": "Etz soll he aach ‚n Kietz ho'!" (wie ein armer Mann). Einige zwangen den Gerichtsvollzieher zur Umkehr und jagten ihn den Schönbacher Weg hinauf. Hei, wie der Reißaus nahm, und wie sich sein blauer Kittel im Wind blähte, die johlende Schuljugend hinterdrein! Das "Freveln" im Wald wurde jetzt als selbstverständlich angesehen und galt nicht mehr als Frevel. Die Scheuer beim zweitletzten Haus links oben in der Wilhelmstraße soll damals aus lauter gefreveltem Holz erbaut worden sein (jetzt Haus Baches). 1) Daß die Breitscheider damals Ihre Hebamme abgesetzt oder verjagt hätten, wie Philippi irgendwo schreibt, ist dichterische Würze. Die unbedachtsamen Erwachsenen, die den Gerichtsvollzieher fortjagten, erhielten später einige Wochen Gefängnis.
- Der 4. März war der entscheidende Tag in Wiesbaden. Vor dem herzoglichen Schlosse wogte eine drohende Volksmenge von über 20000 Personen, darunter auch Westerwälder Bauern. Niemand hatte die Menge beruhigen können. Da endlich kam der Herzog von Berlin an, als alles auf dem Spiele stand. Als er auf dem Balkon des Schlosses erschien, genügte eine Handbewegung, den tobenden Aufrufe in lautlose Stille zu verwandeln. Und als er klug genug war, zu sagen: "Nassauer! Was meine Minister bewilligt, was meine Mutter, mein Bruder verbürgt haben - ich halte es!" da rief ihm die Menge ein begeistertes Hoch zu, und die nassauische Revolution war gewonnen. (*) Aus Freude über die errungene Freiheit holten die Breitscheider 4 Fichten im Rolsbach und richteten sie vor den Häusern der wichtigsten Personen des Dorfes auf (Pfarrhaus, Schule, Bürgermeister). Eine Bürgerwehr wurde gebildet "zur Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung und Herstellung der bestehenden Gesetze". Die Alten hatten den "Nauhäuser" zum Hauptmann, die Jungen "Hennings Peter". Der Säbel des letzteren wird noch in Hennings Familie aufbewahrt. Exerziert wurde auf Olberods Platz, oben am Haigerwege auf der Höhe links. Der Liesfeld war der Trommler. "Wer bet will gieh", der komm' , der Liesfeld schlä't de Tromm'," so sangen wir als Kinder noch Jahrzehnte später. (2) Über den Hauptmann machte man folgendes Verschen: "Der Hauptmann von der Bürgergord der schmiert de' Schouh en wichst de Bort".)
- Freie Bürger haben keinen Schultheiß über sich, der sie heißt, was ihre Schuldigkeit ist; sie wählen jetzt einen Bürgermeister. Bürgermeister ab 1849.
In der Person des Oberhauptes des Dorfes fand in 1848 kein Wechsel statt. Auf Klaas war 1842 Johannes Schmidt gefolgt. Er blieb Junggeselle, wohnte in "Jörge Haus". Anläß-
*) Leider ist manches Errungene in den folgenden Jahren wieder illusorisch geworden.
1) Noch von anderer Scheunen und Häusern wird erzählt, daß das Holz damals und auch zu anderen Zeiten "gefrevelt" worden sei. - Die Strafen für Forstfrevel, die vor dem 7. März begangen worden waren, wurden später niedergeschlagen. - Am 9. März wurde die Verordnung über die Errichtung der Bürgergarde erlassen.
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von Kornelia Pelz übersetzt
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