(Erdbach)
Kaum hatte der Erdbach am untersten Haus des Dorfes in den grünen Wiesen die Tagwässer von der Heide, die verborgenen Rinnsale und was aus den Borntrögen plätschernd überlief, in sich versammelt als stattlichen Bach, zog es ihn alsbald vom Tageslicht wieder in die Tiefe. Knapp so weit von den weißen Häusern über dem grünen Grund, dass man den lautesten Schreier im Dorf und bissigsten Hund noch hörte, ließ sich der Bach spurlos von der Erde verschlucken. - In Kleingrube-Loch wich auf den Umkreis einer Hofgerechtigkeit das Weichbild der Äcker zurück und ließ noch die letzte Erdfalte ein wenig überhängen, ohne den nackten Kalkstein zu verdecken, der wie ein gebleichtes Gebein steil aus der Grube ragte. Dort lief der Erdbach erst gradeaus auf den Fels zu, als wolle er mit ihm zusammenrennen, und schlüpfte dann willig unter ihn hinein wie die Schlange ins Loch. Es geschah so unerwartet, dass jeder fragte: wo ist der Bach hin? - Und nur ein dumpfes Rauschen gab Antwort aus der Tiefe. - In allen vorigen Zeiten war Kleingrube-Loch ein Stück Freiland gewesen, den Elementen überlassen und allem Unkrautsamen, der ihm zuflog in den kurzen Sommermonden. Dann allemal, wenn die Wolken sich schwarz voll Wasser am Himmel emporschleppten und das grelle Feuer aus ihnen hervorbrach, rollte der Donner über das Land und hinter ihm darin barste das Gewölk und schüttete sich aus mit Gewalt. Dann lief der Erdbach mit eine solchen Flut nach Kleingrube-Loch, dass sie wider die Felsen brandete und überschäumte vorm Tor zur Unterwelt. - Das Kleingrube-Loch war eine Ausnahme in der Hasselbächer Gemarkung, ein Stück Urzustand mitten im Land, das unter des Menschen Gewalt war.
Warum läuft der Erdbach stracks auf den Felsen zu wie das Kind nach der Mutter, will hinab in das Verborgene unter Tage und hält sich nicht auf bei Sonnenlächeln und nickenden Blumen? Regt sich das Quellwasser in ihm, liegt ihm die Heimat im Sinn, woher er stammt, aus tiefen Adern und Gängen aufgequollen, dass er wieder hinab will?
So schildert Philippi Kleingrubenloch in der Erzählung "das Borntier". Sie handelt von einem Brunnenmacher, im Dorf "das Borntier" genannt "das Borntier war in der Hasselbächer Welt dazu geboren und am leben, Brunnen zu fegen". Als wieder einmal Hochwasser in Kleingrubenloch war, zog es diesen Menschen mit magischer Gewalt dorthin. Unbewusste Sehnsucht trieb ihn, und über sein Tun dort mit Karst und Schippe hätte er keine Rechenschaft geben können. "Wer sollten dem Borntier klärlich machen, dass er in dem Ton des stürzenden Wassers aus den Felsen den Lockruf vernahm, der den einen anraunt aus dem verborgenen Waldesdunkel, und den anderen hinausruft auf fremde Straßen, und den dritten anlacht - wohl ihm! - aus den Augen seines Weibes und seiner Kinder. - überall aber, wo der Mensch den laut vernimmt, der wie ein Naturlaut ist, ...will er ihm nachgehen, wo ein Mensch hinkann, der zwischen den sperrenden Felswänden mehr Platz braucht als der schmiegsame Leib des Wassers." - " Das Rauschen des Wassers war dem Borntier ein lockendes Lied, dem er nicht widerstehen konnte". "Das Borntier schickte sich an, dem Erdbach nachzusteigen wie in ein Bornloch". -
seite-239 - seite-241
von Kornelia Pelz übersetzt
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