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Die Ortschronik von Reinhard Kuhlmann - Seite 332

1934

Heiligen Abend. Zum ersten male erstrahlten in diesem Jahre Christbäume auf den freien Plätzen der Gemeinden. Wir hatten wohl auch einen Baum auf der Mitte der "Brück", aber er stand im Halbdunkel, die Kerzen gingen natürlich im Freien aus; für die Anbringung elektrischer Birnen waren wohl die Kosten gescheut worden. Der Posaunenchor spielte Weihnachtslieder.

Silvester. Um ½ 8 Uhr Gottesdienst in der Kirche. Die Versammlungsleute hielten ihre Andacht im Vereinshaus. ¾ 8 bis 8 Uhr sprach Dr. Goebbels im Radio und in den letzten Minuten des Jahres hielt Hitler eine kurze Ansprache. Er gedachte darin auch der bevorstehenden Entscheidung im Saarland. Wie will er sich freuen, wenn die Hunderttausende zur Abstimmung auf den Zügen dorthin eilen! Aus der lauten, krächzenden Stimme schloß ich, daß die Rede im Freien gehalten wurde und vernahm nun, daß es eine Schallplatten-Wiedergabe der Ehrenbreitsteiner Rede war. Der ganze Hitler sprach aber aus den wenigen Worten: seine brennende Liebe zu Deutschland. Sie erobert ihm die Herzen, und wir sind keinen Augenblick im Zweifel über den Ausgang der Abstimmung. -

Die Neujahrsnacht verlief so ruhig, wie wir noch keine erlebten. Nur um Mitternacht einige schwere Donnerschläge, etwa 2 Raketen (wie viele stiegen nach dem Kriege!) - und bald wurde es still auf den Straßen. Man sagt mir, es habe den Burschen an Geld gefehlt. Aber das ists nicht allein! Viele saßen am Rundfunk, wie ja überhaupt das Radio einen großen Einfluß auf die äußere Gesittung, auch des jungen Volkes ausübt.

Am Neujahrsmorgen hörte ich die formvollendete Rede des Reichsjugendführers Baldur von Schirach. Unter anderem sagt er, unter gewissen Bedingungen dürften die Mitglieder der katholischen Jugendverbände in Zukunft als Gäste bei der Hitlerjugend (H.J.) aufgenommen werden. So baut er den Katholiken Brücken zu seinem Werk, aber sie dürfen weiter eine Vorzugsstellung einnehmen. Es hatte böses Blut bei den Evangelischen gemacht, daß die katholischen Jugendverbände seinerzeit nicht auch aufgelöst wurden. Gegen die Konfesssionen setzt auch Konzentration (Sammlung des Denkens auf ein Ziel) und Willenskraft nicht alles durch, was Hitler auch an Teilen des evangelischen Bekenntnisses in 1934 erfuhr. Der Kirchenstreit soll nun im neuen Jahre auf versöhnliche Art beigelegt werden. - Trotz aller Schwierigkeiten für die neue Regierung hat sie Theodor Fontanes Meinung für sich, die er wie folgt von den "Jungen" zum Ausdruck bringt:

"Ob sie Frieden säen oder Sturm entfachen, ob sie Himmel oder Hölle machen:
Eins lässt sie stehen auf siegreichen Grunde, sie haben den Tag, sie haben die Stunde,
Die Mohr kann geh'n, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran." (Aus: "Die Jungen und die Alten".)

Heil allen, die guten Willens sind!

Schluß der eigentlichen Chronik!


(Fortsetzung von voriger Seite) nigsdorf ist ein rechtsstehender Christ, dessen Name immer etwas bei gläubigen Christen galt. Er tritt in seinem erwähnten Briefe für Frieden und Einigung der Christen in Deutschland ein, ist also ein Gegner der Bekenntnisfront. Sicher hätten ihm auch die Breitscheider zugestimmt, wenn er hier einen Vortrag darüber gehalten hätte. - Inzwischen ist der Graben zwischen den streitenden Parteien immer größer geworden; eine Einigung erscheint heute fast aussichtslos. In dem "Rundschreiben Nr. 5" der "Stelle für landeskirchliche Aufklärungsarbeit" vom 18. März 1935, unterzeichnet vom Dekan Mulot, wird unter der Überschrift: "Wie die Bekenntnisfront arbeitet!" der Fall Dietenbergen verhandelt. Pfarrer Bergfeldt-Hofheim berichtet als Mitbeteiligter und sagt zum Schluß: "Also der ganze Bericht ist falsch, unwahr und verlogen". So beschuldigen sich Diener Christi gegenseitig der Lüge! - Amtsenthebungen, Versetzungen, Verhaftungen (auch unser Pfarrer sagt, er könne jeden Tag "geholt werden") bringen neue Beunruhigung in die beteiligten Kreise. Und wie wird der Ausgang sein? Staat und Kirche (nur die evangelische) werden die Leittragenden sein, und lachende Dritte werden die Ernte halten. Hoffen wir aber, daß es Geburtswehen einer besseren Zeit sind. Es heißt zwar immer, daß es sich nur um die äußere Organisation der Kirche handle. Aber im tiefsten Grund geht es doch um die "Substanz" des Glaubens. Eckehart oder Luther? Neugeistiges, nationalsozialistisches Christentum oder die andere Art. Unversöhnliche Gegensätze! Welche Art wird mit der Zeit die Oberhand gewinnen? - Das beste "Bekenntnis" ist die Betätigung des Christentums, die beste Lehre ist die, die sich auch im Leben erweist.

Breitscheid, den 15. IV 1935

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von Kornelia Pelz übersetzt

 

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Eine Gesellschaft hat keine Zukunft, wenn sie sich nicht an die Vergangenheit erinnert.
zitiert aus dem "Herborner Tageblatt"

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