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Begegnung mit Blaise Pascal

Leidenschaft des Glaubens

Begegnung mit
Blaise Pascal

mit Grafik

  • Einleitung – 4
  • Das „Memorial” – 9
  • Leidenschaft – 19
  • Glaube – 25
  • Verstand – 37
  • Beobachtungen – 49
  • Krankheit – 59

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EINLEITUNG
Als Blaise Pascal 1662 im Alter von 39 Jahren
starb, hatte er sich bereits als Mathematiker
und Naturwissenschaftler einen Namen gemacht. Aus
seinen Forschungen zur Wahrscheinlichkeitsrech-
nung war ein ganz neuer Zweig der Mathematik
entstanden. Er hatte das Gesetz der kommunizieren-
den Röhren entdeckt und mit Hilfe eines Barometers
nachgewiesen, dass der Luftdruck bei steigender
Höhe abnimmt. Außerdem hatte er die erste Rechen-
maschine entwickelt, die tatsächlich funktionierte.
Das geistliche Leben Pascals dagegen lag weitge-
hend im Dunkeln. Seine polemischen „Provinzial-
briefe” hatten zwar beträchtliches Aufsehen erregt,
waren aber anonym verfasst. In ihnen hatte er einen
Freund verteidigt, den man der Häresie bezichtigte.
Und sein größtes Werk, die „Gedanken”, waren zu
seinen Lebzeiten noch nicht erschienen.
Heute ist Pascals wissenschaftliches Werk großen-
teils in Vergessenheit geraten. Schüler lernen viel-
leicht noch das „Pascalsche Dreieck” im Mathe-
matikunterricht, und in der Physik dient das „Hek-
topascal” als Maßeinheit für den Luftdruck. Als

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christlicher Denker und Religionsphilosoph blieb
Pascal jedoch weit über seine Zeit hinaus bekannt.
Seine scharfsinnigen theologisch-philosophischen
Schriften werden gleichermaßen von römisch-
katholischen und evangelischen Christen geschätzt.
Das Genie
Blaise Pascal wurde am 19. Juni 1623 in Clermond-
Ferrand als Sohn eines Steuerbeamten geboren; die
Mutter starb, als der Junge drei Jahre alt war. Der
Vater kümmerte sich um die Erziehung seiner drei
begabten Kinder. Mit zwölf Jahren entdeckte Blaise
für sich noch einmal die mathematischen Sätze des
Euklid.
Obwohl er sowohl mütterliche Zuwendung als auch
die Freundschaft mit anderen Jungen entbehren
mußte, war Blaise seelisch und körperlich sehr emp-
findsam. Häufige depressive Anfälle ließen ihn
jedoch verkrampft und gehemmt wirken. So zeigte
er sich einmal schockiert, als er sah, wie seine ältere
Schwester Gilberte ihre Kinder umarmte und küßte.
Nach eigenen Zeugnissen fühlte er sich fast immer
krank und war oft ans Bett gefesselt.
Mit siebzehn Jahren veröffentlichte Pascal seine
erste mathematische Arbeit, eine Abhandlung über

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die Kegelschnitte. Sie rief Bewunderung unter den
Fachwissenschaftlern hervor. Pascal galt als mathe-
matisches Genie. In den folgenden sechs Jahren
widmete er sich weiterhin der wissenschaftlichen
Forschung.
Gewißheit
Die Familie Pascal war fromm, besuchte sonntags
die Messe und beachtete die Fastenvorschriften.
Aber wie Blaise später zugab – sein Glaube blieb
leidenschaftslos und ohne Auswirkung auf den All-
tag. Erst im Jahre 1646 bekam Pascal Kontakt zu
einer besonderen religiösen Gruppe, den Janseni-
sten, die seinen weiteren Lebensweg sehr stark
beeinflußte.
Die Jansenisten, benannt nach ihrern Gründer C.
Jansen, waren eine Reformbewegung innerhalb der
katholischen Kirche Frankreichs des 17. und 18.
Jahrhunderts. Im Mittelpunkt ihrer Lehre stand die
Verderbtheit des menschlichen Willens, der nur
durch die göttliche Gnade erlöst werden kann. Man
betonte die Notwendigkeit einer persönlichen Bezie-
hung zu Gott und erwartete, dass jeder Gläubige aus
Dankbarkeit fortan alle Kräfte in den Dienst Gottes
stellte. Eine fast schon „evangelische” Position.

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Blaise Pascal fühlte sich von solch einem persön-
lichen Glauben stark angesprochen. Weiterhin
arbeitete er für die Wissenschaft, aber zwischen-
durch verbrachte er viel Zeit in dem Pariser Kloster
Port Royal , dem Zentrum des Jansenismus. Den-
noch konnte er acht Jahre lang keinen inneren
Frieden finden, ständig auf der Suche nach persön-
licher Glaubensgewissheit. Dann endlich, in der
Nacht des 23. November 1654, wurde ihm – von
höchsten Glücksgefühlen begleitet- eine geistliche
Offenbarung zuteil, in der er sich direkt mit Gott
verbunden fühlte. Unmittelbar anschließend
notierte er seine Erfahrung auf einem Stück Papier.
Seine Gedankenfetzen überschlagen sich in diesem
„Memorial” und verraten äußerste Betroffenheit.
Pascal nähte dieses Glaubenszeugnis in sein Rock-
futter ein, wo man es nach seinem Tod fand.
In den verbleibenden acht Lebensjahren widmete
Pascal sich ganz der Aufgabe, seinen Glauben ande-
ren mitzuteilen. So schrieb er eine knappe Abhand-
lung über die Psychologie der Bekehrung und eine
Reihe von bewegenden Gebeten, aus denen hervor-
geht, dass er seine Krankheit als Gabe Gottes
annahm.
Sein größtes geplantes Werk, eine „Verteidigung
des christlichen Glaubens”, die sich an Skeptiker
richten sollte, konnte Pascal jedoch aus Krankheits-

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gründen nicht mehr vollenden. Vorbereitend dafür
hatte er thematisch geordnet viele einzelne Paragra-
phen, Aphorismen und auch ganze Essays verfaßt
die nach seinem Tod unter dem Titel „Pensées”
(Gedanken) veröffentlicht wurden. Am 19. August
1662 starb Pascal. Vor allem dieser Sammlung bril-
liant formulierter und rhetorisch zugespitzter
Gedankengänge verdankt Pascal seine Anerken-
nung als christlicher Denker.
Man kann Blaise Pascal nicht einordnen. Er war
kein Theologe, aber er übertrug die Logik seiner
wissenschaftlichen Denkweise auf theologische
Sachverhalte und befaßte sich intensiv mit dem
Verhältnis voll Glaube und Vernunft. Er war kein
Mystiker, aber seine eigenwillige geistliche Vorstel-
lungskraft beleuchtete auch die dunklen Ecken der
menschlichen Seele. Er war kein Meister des Gebets,
aber voller Leidenschaft in seiner Hingabe an Chri-
stus. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir ihn als
“Genie” bezeichnen, haben wir es doch mit einem
Menschen von herausragendem geistlichem Scharf-
sinn zu tun.

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Das „Memorial”

Das unmittelbar nach seinem Bekehrungserlebnis
geschriebene „Memorial” bezeugt auf eindrucks-
volle Weise das Eingreifen Gottes in Pascals Leben.
Die stammelnden, in höchster Erregung hervorge-
stoßenen Worte sind ein persönliches Glaubensbe-
kenntnis besonderer Art, in dem der Verstand hinter
einer überwältigenden Freude zurücktritt. Pascal
nähte den Text in sein Rockfutter ein, damit er ihn
stets am Herzen trug.

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JAHR DER GNADE 1654
FEUER

Gott Abrahams Gott Isaaks, Gott Jakobs –
nicht der Philosophen und Gelehrten.
Gewissheit, Gewissheit, Empfinden.
Freude. Friede.
Gott Jesu Christi.
Vergessen der Welt und aller Dinge
außer Gott.
Freude, Freude, Freude,
Tränen der Freude.
Ich habe mich von ihm getrennt:
ich bin vor ihm geflohen,
ich habe ihn verleugnet, gekreuzigt.
Möge ich nie von ihm getrennt sein.
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Er wird nur auf den Wegen bewahrt,
die das Evangelium lehrt:
Vollkommene, innige Entsagung.
Vollkommene Unterwerfung
unter Jesus Christus
und unter meinen geistlichen Führer.
Ewig in der Freude
für einen Tag der Plage auf Erden.
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Bekehrung

Kurz nach seiner Bekehrung im Jahr 1654 bemühte
sich Pascal darum, von dem persönlichen Erlebnis
Abstand zu gewinnen und dieses psychologisch zu
analysieren. So unterscheidet er in seinem Essay
„Von der Bekehrung des Sünders” verschiedene
Entwicklungsphasen, die zum Bekehrungserlebnis
führen und diesem folgen.

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UNRUHE
Das erste, was Gott der Seele einflößt, ist eine
ganz außergewöhnliche Erkenntnis und
Anschauung, wodurch die Seele die Dinge und sich
selbst auf eine völlig neue Weise betrachtet.
Dieses neue Licht macht ihr Furcht und bringt sie in
Verwirrung, so dass die Ruhe gestört wird, die sie in
den Dingen fand, an denen bisher ihr Herz hing
Sie kann die Dinge, an denen sie Freude gefunden
hatte, nicht mehr mit Ruhe genießen. Eine bestän-
dige Unruhe ficht sie an, wenn sie sich dem früheren
Genuß hingeben will, und diese Einsicht macht es
ihr unmöglich, an den Dingen, denen sie sich mit
vollem Herzen hingegeben hatte, noch den gewohn-
ten Reiz zu finden.

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So begreift sie, daß sich die Seele, wenn das
Leben zu Ende ist, allein und verlassen fühlen
muß, eben weil sie nicht Sorge getragen hat, sich
mit einem wahren Gute zu verbinden, das durch
sich selbst besteht und sie während und nach diesem
Leben aufrecht halten könnte.

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HEILIGE BESCHÄMUNG
Die Seele fängt an, alles als nichtig anzusehen,
was ins Nichts zurückkehren muß: den Him-
mel, die Erde, Verwandte, Freunde und Feinde,
Besitz und Armut, Missgeschick und Wohlergehen:
Alles, was weniger Dauer hat als die Seele, ist unfä-
hig, dem Verlangen dieser Seele genugzutun.
Sie fängt an, über die Verblendung, in der sie gelebt
hat, Erstaunen zu empfinden. Indem sie auf der
einen Seite bedenkt, wie lange Zeit sie ohne solche
Betrachtungen gelebt hat und wie groß die Zahl
derer ist, die so leben, gerät sie in eine heilige
Beschämung und in ein Erstaunen, das sie heilsam
unruhig macht

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DEMUT
So ist die Seele voller Freude, ein Gut gefunden zu
haben, das ihr nicht geraubt werden kann und
das nichts über sich hat.
Bei diesen neuen Betrachtungen tritt sie ein in die
Anschauung der Größe ihres Schöpfers und in tiefe
Demut und Anbetung.
Danach erkennt sie die Gnade, di er ihr erwiesen
hat: einem so armseligen Wurm seine unendliche
Majestät zu offenbaren.

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ENTSCHLUSS
Die Seele entschließt sich, ihr weiteres Leben
Gottes Willen entsprechend einzurichten. Aber
ihre natürliche Schwäche in Verbindung mit der
Gewohnheit der Sünde hat sie unfähig gemacht, zu
dieser Glückseligkeit zu gelangen. Darum erfleht sie
von seiner Barmherzigkeit die Mittel, zu ihm zu
gelangen, sich mit ihm zu verbinden und ewig ihm
anzuhängen…
So erkennt sie, dass sie Gott anbeten muss als
Geschöpf, ihm danken als Schuldnerin, ihm genug-
tun als Sünderin, ihn bitten als Bettlerin.

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4

Leidenschaft

Der junge Pascal als leidenschaftlicher Mathe-
matiker lebte und handelte aus dem Verstand her-
aus. Aber mit zunehmendem Alter wurde er zuwei-
len von starken Gefühlen ergriffen. Die folgenden
Auszüge aus einem frühen Essay „Über die Leiden-
schaft der Liebe” zeigen Pascal als einen Menschen,
der zwischen Gefühl und Verstand steht oder, wie er
es nennt, zwischen „Liebe” und „Ehrgeiz”.

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ZWEI GROSSE LEIDENSCHAFTEN
Die Leidenschaften, die dem Menschen am
besten anstehen und viele andere in sich ein-
schließen, sind die Liebe und der Ehrgeiz; sie haben
kaum einen Zusammenhang miteinander, dennoch
verbindet man sie oft genug; aber sie schwächen
sich einander wechselseitig, um nicht zu sagen, sie
zerstören sich.
Wie weit auch der Geist sei, den man hat, man ist
doch nur zu einer großen Leidenschaft fähig; denn
wenn sich die Liebe und der Ehrgeiz begegnen, so
sind sie nur halb so groß, als sie wären, wenn es sie

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allein gäbe. Das Alter entscheidet weder über den
Beginn noch über das Ende dieser beiden Leiden-
schaften; sie entstehen schon in den frühen Jahren
und bleiben oftmals bis ans Grab.
LEBENSLAUF
Wie glücklich ist ein Leben, wenn es mit der
Liebe beginnt und mit dem Ehrgeiz endet!
Könnte ich zwischen beiden wählen, ich würde den
letzteren vorziehen. Solange man Feuer hat, ist man
liebenswert; aber das Feuer verlöscht, es geht ver-
loren: wie ist dann der Raum groß und schön für
den Ehrgeiz.
Darum, wenn die Liebe und der Ehrgeiz das Leben
beginnen und beenden, ist man im glücklichsten
Zustand, dessen die menschliche Natur fähig ist.

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KLARHEIT DES GEISTES
Die Klarheit des Geistes verursacht auch die
Klarheit der Leidenschaft. Darum liebt ein gro-
ßer und klarer Geist mit Glut und sieht deutlich,
was er liebt.

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SUCHE NACH SCHÖNHEIT
Wir werden geboren mit einem Merkmal der
Liebe in unseren Herzen, das sich entwickelt
und uns zu lieben treibt, was uns schön zu sein
scheint, ohne dass man uns jemals gesagt hätte, was
das ist…
Die Schönheit verteilt sich in tausend verschiedene
Arten. Die Person, die am meisten geeignet ist, sie zu
halten, ist eine Frau. Wenn sie Geist hat, so beseelt
sie die Schönheit und erhebt sie auf wunderbare
Weise. Wenn eine Frau gefallen will und die Vorteile
der Schönheit oder doch einen Teil davon besitzt, so
wird es ihr gelingen; und selbst wenn die Männer
noch so wenig darauf achtgäben und sie selbst ihre
Absicht nicht darauf wendete, sie würde doch Liebe
wecken. Es gibt in ihrem Herzen einen Ort des
Wartens; dort würde sie wohnen.

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WIRKUNGEN DER LIEBE
Dadurch, daß man von der Liebe spricht, wird
man verliebt. Es gibt nichts so Leichtes. Sie ist
für den Menschen die natürlichste Leidenschaft.
Die erste Wirkung der Liebe besteht darin, eine
große Achtung einzuflößen; man empfindet Vereh-
rung für das, was man liebt. Das ist sehr richtig:
Man nimmt nichts in der Welt wahr, was so groß
wäre.
Ich stimme dem zu, der sagt, in der Liebe vergäße
man sein Schicksal, seine Eltern und seine Freunde.
So weit gehen die großen Freundschaften. Dass man
in der Liebe so weit geht, liegt daran, dass man
nichts anderes meint nötig zu haben als das, was
man liebt. Selbst ein Geiziger, der liebt, wird freige-
big und denkt nicht daran, dass er jemals eine
entgegengesetzte Gewohnheit gehabt hat.

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4

Glaube

Pascals Philosophie geht von der Annahme aus, dass
jeder Mensch nach Glück sucht. Das Christentum
müsse sich deshalb der Frage stellen, ob es den
Menschen „Glück” bringe.
Für Pascal verstand es sich von selbst, dass die
Suche nach materiellen Gütern letztlich unbefriedi-
gend bleibt. Wenn er die Welt um sich herum
betrachtete, so fand er nur Elend und Verzweiflung
in den Herzen der Menschen. Er persönlich war erst
nach seiner Bekehrung (1654) wirklich glücklich
geworden, und darum wollte er in seinen Schriften
nachweisen, dass der christliche Glaube dieses
Glück beinhaltet, wonach eigentlich jeder Mensch
zutiefst verlangt.
Die Textausschnitte in diesem und den beiden fol-
genden Kapiteln sind den „Gedanken” entnommen.

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SUCHE NACH DEM GLÜCK
Alle Menschen suchen nach dem Glück. Das gilt
ohne Ausnahme, wie unterschiedlich auch die
Mittel sein mögen, die sie dafür benutzen. Sie stre-
ben alle diesem Ziel zu. Was bewirkt, dass die einen
in den Krieg ziehen und die anderen nicht, ist dieses
eine Verlangen, das bei allen beiden mit unter-
schiedlichen Auffassungen verbunden ist.
Die geringste Willensregung ist immer nur auf die-
sen Zweck gerichtet. Das ist hei allen Menschen der
Beweggrund aller Handlungen, selbst bei jenen, die
sich erhängen wollen! Und dennoch ist niemand seit
so vielen Jahren jemals ohne den Glauben zu diesem
Punkt gelangt, nach dem alle beständig streben.
Alle beklagen sich, Fürsten, Untertanen, Greise,
Jünglinge, Starke, Schwache, Gelehrte, Unwissende,
Gesunde, Kranke aller Länder, aller Zeiten, aller
Lebensalter und aller Stellungen.
Eine so lange, so beständige und so einheitliche
Probe sollte uns doch von unserer Unfähigkeit über-
zeugen, das Glück durch unsere eigene Anstrengung
zu erreichen.

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SPUREN DES GLÜCKS
Was ruft uns denn diese Gier zu, wenn nicht
dies, dass es einst im Menschen ein wahres
Glück gegeben hat, von dem ihm jetzt nur Spuren
geblieben sind und die er nun vergebens mit allem
auszufüllen trachtet, was ihn umgibt. Dabei erwar
tet er von den fernen Dingen die Hilfe, die er von
den gegenwärtigen nicht erhält. Doch sie alle sind
dazu nicht fähig, weil dieser unendliche Abgrund
nur durch etwas Unendliches und Unwandelbares
ausgefüllt werden kann: das heißt durch Gott selbst.
Gott allein ist das wahre Glück des Menschen. Und
seitdem er Gott verlassen hat, gibt es seltsamerweise
nichts in der Natur, was nicht geeignet gewesen
wäre, Gottes Platz beim Menschen einzunehmen.
Die einen suchen das Glück in der Macht, die ande-
ren in Raritätensammlungen und Wissenschaften,
wieder andere in sinnlichen Vergnügen.

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GRÖSSE UND ELEND
Die Größe des Menschen ist groß, weil er sich als
elend erkennt. Ein Baum weiß nichts von sei-
nem Elend. Also: Elend ist nur, wer sich als elend
kennt; aber nur das ist Größe, zu wissen, dass man
elend ist.
WAHRE RELIGION
Wahre Religion muss uns eine Erklärung für
diese erstaunlichen Widersprüchlichkeiten
geben.
Um den Menschen glücklich zu machen, muss sie
ihm zeigen, dass es einen Gott gibt, dass man ver-
pflichtet ist, ihn zu lieben. Sie muss ihm zeigen, dass
es unser wahres Glück ist, in ihm zu sein, und unser
einziges Übel, von ihm getrennt zu sein. Sie muss
anerkennen, dass wir von Finsternis erfüllt sind, die
uns hindert, Gott zu erkennen und zu lieben, und
dass wir deshalb voller Ungerechtigkeit sind. Sie
muss uns die Heilmittel gegen diese Unfähigkeit
zeigen und die Wege weisen, um diese Heilmittel zu
erhalten.

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GOTT DURCH CHRISTUS
Wir erkennen Gott allein durch Jesus Christus.
Ohne diesen Mittler wird jede Gemeinschaft
mit Gott aufgehoben. Durch Jesus Christus erken-
nen wir Gott. All jene, die Gott ohne Jesus Christus
erkennen und beweisen wollten, besaßen nur unzu-
längliche Beweise.
Doch um Jesus Christus zu beweisen, haben wir die
Prophetien, die stichhaltige und handgreifliche
Beweise sind.
Doch wir erkennen zugleich unser Elend, denn die-
ser Gott ist nichts anderes als der Heiland unseres
Elends. Darum können wir Gott nur richtig erken-
nen, wenn wir unsere Sünden erkennen.

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SPUREN GOTTES
Der Mensch soll die ganze Natur in ihrer großen
und vollkommenen Majestät betrachten. Er soll
seinen Blick von den niedrigen Gegenständen
abwenden, die ihn umgeben. Er beschaue jenes
strahlende Liche der Sonne, das wie eine ewige
Lampe aufgestellt ist, um das Universum zu erhel-
len. Die Erde erscheine ihm wie ein Punkt im Ver-
gleich zu der weiten Kreisbahn, die dieses Gestirn
durchläuft.
Ein anderes, ebenso erstaunliches Wunder erkennt
er, wenn er die kleinsten ihm bekannten Dinge
untersucht: Eine Milbe zeigt ihm an ihrem winzigen

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Körper noch unvergleichlich winzigere Teile: Beine
mit Gelenken. Adern in ihren Beinen, Blut in ihren
Adern, Säfte in diesem Blut, Tropfen in diesen
Säften, Dämpfe in diesen Tropfen, so dass er seine
Kräfte bei diesen Vorstellungen erschöpft.
Was ist schließlich der Mensch in der Natur? Ein
Nichts im Vergleich mit dem Unendlichen, ein All
im Vergleich mit dem Nichts, ein Mittelding zwi-
schen nichts und allem, unendlich weit davon ent-
fernt, die Extreme zu erfassen.

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WIR TREIBEN DAHIN
Wir sind unfähig, vollkommen sicher zu
wissen oder es überhaupt nicht zu kennen.
Wir treiben auf einer weiten Mitte, immer unsicher
und schwankend, von einem Ende zum anderen
gestoßen. Nichts steht für uns still. Das ist unser
natürlicher Zustand, der gleichwohl unserer Nei-
gung am meisten widerspricht. Wir brennen vor
Verlangen, einen festen Halt und eine letzte,
beständige Grundlage zu finden, um darauf einen
Turm zu errichten, der sich bis zum Unendlichen
erheben soll. Aber unser ganzes Fundament kracht
auseinander.

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KLAR UND EINFACH
Jesus Christus hat die großen Dinge so einfach
gesagt, dass es scheint, er habe nicht über sie
nachgedacht. Und dennoch sagt er sie so deutlich,
dass man wohl sieht, was er über sie dachte. Diese
Klarheit in Verbindung mit dieser Einfachheit ist
bewundernswert.
GEGENGEWICHT
Elend führt zur Verzweiflung. Stolz führt zur
Anmaßung.
Die Menschwerdung Christi zeigt dem Menschen die
Größe seines Elends an der Größe des Heilmittels,
das notwendig gewesen ist.

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EMPFANGEN UND VERLIEREN
Diese Lehre unterrichtet den Menschen über
seine doppelte Fähigkeit: die Gnade zu emp-
fangen und zu verlieren; und das wegen der doppel-
ten Gefahr der Verzweiflung oder des Stolzes, der er
stets ausgesetzt ist.
DIE WAHRHAFTIGE BEKEHRUNG
Wenn ich ein Wunder gesehen hätte, sagen sie,
würde ich mich bekehren. Wie können sie
versichern, dass sie etwas tun würden, was ihnen

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unbekannt ist? Sie bilden sich ein, diese Bekehrung
bestehe darin, Gott anzubeten, als wäre man mit
ihm in einer Beziehung und einem Gespräch, wie sie
es sich vorstellen.
Die wahrhaftige Bekehrung besteht in der Erkennt-
nis, dass es einen unüberwindlichen Gegensatz zwi-
schen Gott und uns gibt und dass es ohne einen
Mittler keine Beziehung mit ihm geben kann.
VERNUNFT UND DEMUT
Es gibt drei Mittel zum Glauben: Vernunft,
Gewöhnung und die göttliche Eingebung. Das
Christentum lässt diejenigen, welche ohne göttliche
Erleuchtung glauben, nicht als seine wahren Kinder
gelten; nicht so, als ob es die Vernunft und die
Gewohnheit ausschlösse. Im Gegenteil: Man muss
seinen Geist den Beweisen öffnen, sich darin befesti-
gen durch Gewöhnung; aber doch muss man sich
durch Selbstdemütigung für die göttliche Erleuch-
tung empfänglich machen, die allein imstande ist,
einen wahren und heilsamen Erfolg zu bewirken.

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ES IST UNBEGREIFLICH
Es ist unbegreiflich, dass es Gott gibt, und es ist
auch unbegreiflich, dass es ihn nicht gibt, dass
die Seele mit dem Leib zusammen ist, dass wir
überhaupt keine Seele haben, dass die Welt geschaf-
fen ist, dass sie es nicht ist, dass es die Erbsünde gibt
und dass es sie nicht gibt.
IM GLAUBEN LEBEN
Ich beneide diejenigen, die ich so unbekümmert im
Glauben leben sehe und die eine Gabe so schlecht
gebrauchen, von der ich, wie mir scheint, einen so
ganz anderen Gebrauch machen würde.

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Verstand

Pascal war brennend interessiert an der Beziehung
zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Reli-
gion. Es war sein größter Wunsch nachzuweisen,
dass der christliche Glaube nicht dem Verstand
entgegensteht, so dass jedermann ihn akzeptieren
kann. Besonders geschickt argumentiert er in dem
Gleichnis „Die Wette”.
Aber Pascal erkannte durchaus auch die Grenzen
des menschlichen Verstandes: Es gibt Geheimnisse,
die allein der Glaube auszuloten vermag. Und er
entlarvte die fadenscheinige Argumentation vieler
Menschen, die angeblich aus intellektuellen Grün-
den den Glauben ablehnen, in Wirklichkeit jedoch
von ihren Leidenschaften getrieben werden.

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DIE WETTE
Nehmen wir an: Gott ist, oder er ist nicht. Wofür
werden wir uns entscheiden? Die Vernunft
kann hier nichts bestimmen: ein unendliches Chaos
trennt uns. Am Rande dieser unendlichen Entfer-
nung spielt man ein Wettspiel, bei dem Kreuz oder
Schrift, Kopf oder Zahl fallen werden. Worauf wol-
len Sie setzen? Vernunftgründe gibt es weder für
das eine noch für das andere. Mit Vernunftgründen
können Sie keines von beiden verteidigen. Zeihen
Sie also nicht die, die wählten, des Irrtums, denn
man kann hier nichts wissen.
Wägen wir Gewinn gegen Verlust für den Fall, dass
wir auf Kreuz, dass wir darauf: dass Gott sei, setzten.
Schätzen wir beide Möglichkeiten ab: Gewinnen Sie,

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so gewinnen Sie alles, verlieren Sie, so verlieren Sie
nichts. Setzen Sie also, ohne zu zögern, darauf, dass
er ist.
ACHTUNG VERSCHAFFEN
DDie Menschen schätzen die Religion gering. Sie
hassen sie und fürchten, dass sie wahr sei. Um
dafür Abhilfe zu schaffen, muss man zunächst zei-
gen, dass die Religion keineswegs der Vernunft
widerspricht. Sie verehrungswürdig machen. Sie
hierauf liebenswert machen, den Guten den Wunsch
eingeben, dass sie wahr sein möge, und danach
zeigen, dass sie wahr ist.
GEWISSHEIT
Es bereitet Vergnügen, sich auf einem vom Sturm
umtosten Schiff zu befinden, wenn man die
Gewissheit hat, dass es keinesfalls untergehen wird;
die Verfolgungen, welche die Kirche heimsuchen,
sind von dieser Art.

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ÜBERZEUGUNGEN
Man überzeugt sich gewöhnlich besser mit den
Gründen, die man selbst gefunden hat, als mit
denjenigen, die anderen eingefallen sind.

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GEBRAUCH DER VERNUNFT
Man muss es verstehen zu zweifeln, wo es ange-
bracht ist; etwas als sicher anzunehmen, wo es
angebracht ist, indem man sich unterordnet, wo es
angebracht ist. Wer nicht so verfährt, begreift nicht
die Macht der Vernunft. Es gibt einige, die gegen
diese drei Prinzipien verstoßen, entweder indem sie
alles als sicher und beweiskräftig annehmen, oder
indem sie an allem zweifeln, weil sie nicht wissen,
wo man sich unterordnen muss, oder auch indem sie
sich in allem unterordnen, weil sie nicht wissen, wo
man ein Urteil abgeben muss.

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VERNUNFT UND GLAUBE
Wenn man alles der Vernunft unterordnet, wird
unsere Religion nichts Geheimnisvolles und
Übernatürliches haben. Wenn man gegen die Prin-
zipien der Vernunft verstößt, wird unsere Religion
absurd und lächerlich sein.
ERKENNTNIS
Zwei Arten von Menschen gelangen zur Erkennt-
nis: diejenigen, die demütigen Herzens sind und
die ihre Niedrigkeit lieben, auf welch hoher oder
niedriger Geistesstufe sie auch stehen mögen, oder
diejenigen, die genügend Geist haben, um die Wahr-
heit zu sehen, welche Einwände sie auch gegen sie
haben.

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DREI ARTEN VON MENSCHEN
Es gibt nur drei Arten von Menschen: Die einen
dienen Gott, da sie ihn gefunden haben, die
anderen bemühen sich, ihn zu suchen, da sie ihn
nicht gefunden haben, und die dritten leben dahin,
ohne ihn zu suchen und ohne ihn gefunden zu
haben. Die ersten sind vernünftig und glücklich, die
letzten sind töricht und unglücklich. Die mittleren
sind unglücklich und vernünftig.
WIDERSPRÜCHE
Wir sehnen uns nach der Wahrheit und finden
in uns nur Ungewissheit. Wir streben nach
dem Glück und finden nur Elend und Tod. Wir sind
unfähig, uns nicht nach Wahrheit und Glück zu
sehnen, und wir sind der Gewissheit wie des Glücks
unfähig.
Alle diese Widersprüche, die mich am weitesten von
der Kenntnis einer Religion zu entfernen schienen,
haben mich gerade am ehesten zur wahrhaftigen
Religion geführt.

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verleugnen, und zuwenig, um Gewissheit zu haben,
bin ich in einem beklagenswerten Zustand.
Mein Herz strebt ausschließlich nach der Erkennt-
nis, wo sich das wahre Glück befindet, damit es sich
ihm widmen kann. Für die Ewigkeit wäre mir nichts
zu mühselig.

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IM NETZ DES ZWEIFELS
Die Natur bietet mir nichts, was nicht Anlaß zu
Zweifel und Unruhe wäre. Sähe ich in ihr
nichts, was auf eine Gottheit hindeutete, so würde
ich mich gegen sie entscheiden; sähe ich überall die
Zeichen eines Schöpfergottes, so würde ich ruhig im
Glauben verharren. Da ich aber zuviel sehe, um zu

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VERNUNFT DES HERZENS
Das Herz hat seine Vernunft, die der Verstand
nicht kennt. Es ist das Herz, das Gott fühlt, und
nicht der Verstand. Das ist der Glaube: Gott dem
Herzen fühlbar, nicht dem Verstand.
EWIGES LEBEN
Je nachdem, ob wir ewiges Leben erhoffen oder
nicht, müssen all unsere Handlungen und Gedan-
ken unterschiedliche Bahnen einschlagen. Es ist
unmöglich, einen sinnvollen und verständigen
Schritt zu unternehmen, wenn man sich nicht nach
dem Punkt richtet, der unser letztes Ziel sein muss.
Und deshalb mache ich einen außerordentlich gro-
ßen Unterschied zwischen denen, die sich mit all
ihrer Kraft bemühen, sich über das ewige Leben zu
unterrichten, und denen, die dahinleben, ohne sich
darum zu sorgen. Ich kann nur Mitleid mit denen
haben, die in diesem Zweifel befangen sind, die
nichts unversucht lassen, um ihn zu überwinden.

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WÜRDE DES MENSCHEN
Wenn man sagt, der Mensch sei zu gering, als
dass eine Mitteilung Gottes an ihn möglich sei,
so sage ich, man muss sehr hoch stehen, um darüber
urteilen zu können.
Der Mensch ist Gottes nicht würdig; aber es ist
Gottes nicht unwürdig, ihn von seinem Elende zu
befreien.
VERHÜLLTER HASS
Alle Menschen hassen sich von Natur aus gegen-
seitig. Man hat sich, so gut man konnte, der
Begierde bedient, um sie für das Gemeinwohl nutz-
bar zu machen. Aber das ist nur Heuchelei und ein
falsches Bild der christlichen Liebe, denn im Grunde
ist es nur Haß.
Man hat bewundernswerte Regeln für die öffentliche
Ordnung, die Moral und das Recht auf der Begierde
begründet und aus ihr hergeleitet. Im Grunde aber
ist dieser böse Kern des Menschen nur verhüllt. Er
ist nicht aufgehoben.

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DIE NATUR DES MENSCHEN
Eine Religion muss, damit sie wahr ist, unsere
menschliche Natur durchschaut haben. Sie
muss deren Größe und Niedrigkeit und den Grund
für beides durchschaut haben. Welche Religion hat
das außer der christlichen erkannt?
DER VERBORGENE GOTT
Anstatt euch zu beklagen, dass Gott sich verbor-
gen hat, werdet ihr ihm Dank sagen, dass er sich
so sehr offenbart hat. Und ihr werdet ihm auch noch
Dank sagen, dass er sich nicht den hochmütigen
Weisen offenbart hat, die unwürdig sind, einen so
heiligen Gott zu erkennen.

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Beobachtungen

Pascal war ein aufmerksamer Beobachter des
menschlichen Wesens. Viele seiner Aphorismen
gehören inzwischen zu unserem „geistigen Inven-
tar”. Manchmal wirkt er fast aalglatt, als sei er
selbst beeindruckt von seinem Verstand. Mit unfehl-
barer Präzision treffen Pascals Feststellungen ins
Schwarze. Und anschließend wird deutlich, dass er
jedesmal auch sich selbst gemeint hat.

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EITELKEIT
Die Eitelkeit ist so tief im menschlichen Herzen
eingewurzelt, dass ein Soldat, ein Koch, ein
Lastträger sich rühmen und ihre Bewunderer haben
wollen. Selbst die Philosophen wollen sie haben,
und diejenigen, die dagegen schreiben, wollen den
Ruhm erreichen, gut geschrieben zu haben, und
diejenigen, die sie lesen, suchen den Ruhm, sie
gelesen zu haben, und ich, der ich dies schreibe,
hege vielleicht gerade dieses Verlangen, und viel-
leicht auch diejenigen, die es lesen werden…

-50-


GNADE
Um aus einem Menschen einen Heiligen zu
machen, dazu bedarf es notwendig der Gnade.
Und wer daran zweifelt, weiß nicht, was ein Heiliger
und was ein Mensch ist.
STANDORT
Diejenigen, die ein ausschweifendes Leben füh-
ren, sagen denjenigen, die ein ordentliches
Leben führen, sie würden sich von der Natur entfer-
nen, während sie von sich selbst glauben, dass sie ihr
folgen. Genauso glauben die an Bord eines Schiffes,
dass jene, die am Ufer stehen, davonlaufen. Man
braucht einen festen Punkt, um darüber zu urteilen.
Der Hafen beurteilt diejenigen, die an Bord eines
Schiffes sind, doch wo werden wir in der Moral
einen Hafen hernehmen?

-51-


EIN SCHILFROHR
Nur ein Schilfrohr, das Zerbrechlichste in der
Welt, ist der Mensch. Es ist nicht nötig, dass
sich das All wappne, um ihn zu vernichten: ein
Windhauch, ein Wassertropfen reichen hin, um ihn
zu töten. Die ganze Würde des Menschen besteht im
Denken, an ihm müssen wir uns aufrichten und
nicht am Raum und an der Zeit, die wir doch nie
ausschöpfen werden.
LANGEWEILE
Nichts ist dem Menschen so unerträglich, als
wenn er sich in vollkommener Ruhe befindet,
ohne Leidenschaften, ohne Beschäftigungen, ohne
Zerstreuungen, ohne Betriebsamkeit.
Dann fühlt er seine Nichtigkeit, seine Verlassenheit,
seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine
Ohnmacht, seine Leere.

-52-


ZERSTREUUNG
Das einzige, das uns über unser Elend hinwegtrö-
stet, sind die Zerstreuungen. Und doch sind sie
unser größtes Elend. Denn gerade sie sind das
Haupthindernis, wenn wir über uns selbst
nachdenken wollen. Sie stürzen uns unmerklich ins
Verderben.
Ohne Zerstreuungen litten wir an Langeweile, und
diese Langeweile würde uns drängen, ein zuverlässi-
geres Mittel zu suchen, um uns davon zu befreien;
die Zerstreuungen aber unterhalten uns und lassen
uns unmerklich dem Tode anheimfallen.

-53-


GLÜCK
Die Stoiker sagen: Haltet Einkehr in euch selbst,
dort werdet ihr eure Ruhe finden. Das ist nicht
wahr. Die anderen sagen: Geht nach außen und
sucht das Glück in einer Zerstreuung. Auch das ist
nicht wahr: Die Krankheiten kommen.
Das Glück ist weder außerhalb von uns noch in uns;
es ist in Gott und dadurch sowohl außerhalb von
uns als auch in uns.
GESTERN, HEUTE, MORGEN
Jeder prüfe seine Gedanken. Er wird finden, dass
sie ganz mit der Vergangenheit oder der Zukunft
beschäftigt sind. Wir denken fast überhaupt nicht
an die Gegenwart, und wenn wir an sie denken, so
nur, um aus ihr die Einsicht zu gewinnen, mit der
wir über die Zukunft verfügen wollen. Die Gegen-
wart ist niemals unser Ziel.

-54-


Deshalb leben wir nie, sondern hoffen auf das
Leben. Und da wir uns ständig bereit halten, glück-
lich zu werden, ist es unausbleiblich, dass wir es
niemals sind.
PERSPEKTIVE
Wenn man zu jung ist, urteilt man nicht gut,
ebenso, wenn man zu alt ist. Wenn man sein
Werk betrachtet, gleich nachdem man es vollendet
hat, ist man noch ganz davon ergriffen, wenn man
es zu lange danach tut, erfasst man es nicht mehr.
Wie bei den Bildern, die man aus zu großer oder zu
kleiner Entfernung betrachtet: Es gibt nur einen
unteilbaren Punkt, der die richtige Stelle ist.

-55-


HUNGER
Man wird es durchaus nicht überdrüssig, alle
Tage zu essen und zu schlafen, denn Hunger
und Schlafbedürfnis entstehen immer aufs neue,
sonst würde man dessen überdrüssig werden.
So wird man der geistlichen Dinge überdrüssig,
wenn es uns nicht nach ihnen hungert.
GLIEDER EINES LEIBES
Wenn Füße und Hände einen eigenen Willen
hätten, so verhielten sie sich nur ihrer Ord-
nung gemäß, wenn sie diesen Willen dem Hauptwil-
len, der den ganzen Leib lenkt, unterwürfen. Wenn
sie davon abweichen, bringt es ihnen Unordnung
und Unglück; wenn sie aber nur das Wohl des
Leibes wollen, sorgen sie auch für ihr eigenes Wohl.
LEBEN UND GLAUBEN
Wenn es eine übernatürliche Verblendung ist,
dahinzuleben, ohne zu erforschen, was man

-56-


ist, so ist es eine schreckliche Verblendung, ein
schlechtes Leben zu führen und dabei an Gott zu
glauben.
UNERFORSCHTE FRAGEN
Weshalb ist meine Erkenntnis beschränkt, wes-
halb meine Gestalt, weshalb die Dauer meines
Lebens auf hundert Jahre statt auf tausend? Welche
Gründe hat die Natur gehabt, sie mir so zu geben
und grade diese Zahl statt einer andern unter der
Unendlichkeit auszuwählen? Das ewige Schweigen
dieser unendlichen Räume macht mich schaudern.
FREUNDSCHAFT
Niemand redet in unserer Gegenwart so über uns,
wie er über uns redet, wenn wir abwesend sind.
Die Eintracht unter den Menschen beruht nur auf
diesen gegenseitigen Betrügereien; und wenige

-57-


Freundschaften würden fortbestehen, wenn jeder
wüßte, was sein Freund über ihn sagt, sobald er
nicht dabei ist.
ZEIT HEILT

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Die Zeit heilt die Schmerzen und die Streitigkei-
ten, weil man sich ändert: Man ist nicht mehr
der, der man war, weder der Beleidiger noch die
Beleidigten sind die gleichen, die sie waren. Ebenso,
wenn man einem Volk, mit dem man im Streit war,
nach zwei Generationen wieder begegnet; wohl sind
es Franzosen, aber nicht mehr die von damals.
GUTE TATEN
Jene guten Taten, die man verbirgt, sind die schät-
zenswertesten. Wenn ich davon in der Geschichte
einige entdecke, so gefallen sie mir sehr. Aber
schließlich sind sie nicht ganz und gar verborgen
geblieben, da man ja von ihnen erfahren hat. Und
obgleich man alles getan hat, um sie zu verbergen,
verdirbt doch dieses wenige, wodurch sie ans Licht
gelangt sind, alles. Denn gerade das Schönste an
ihnen ist, dass man sie verbergen wollte.

-58-


7

Krankheit

Nach eigenen Aussagen war Pascal seit seinem
18. Lebensjahr nie ohne Schmerzen. Man vermutet,
dass er viele Jahre an Tuberkulose litt; hinzu kamen
starke nervliche Spannungszustände. Pascal konnte
jedoch die Krankheit als Gabe Gottes annehmen, als
ein Mittel, wodurch Gott das menschliche Herz zu
sich zieht. Er nannte seine Meditationen „Gebet zu
Gott um den rechten Gebrauch der Krankheit”.

-59-


Zu wem soll ich rufen, Herr,
zu wem meine Zuflucht nehmen,
wenn nicht zu dir?
Alles, was nicht Gott ist,
kann meine Hoffnung nicht erfüllen.
Gott selbst verlange und suche ich;
an dich allein, mein Gott, wende ich mich,
um dich zu erlangen.

-60-


Du allein hast meine Seele erschaffen können,
du allein kannst sie aufs neue erschaffen;
du allein hast ihr dein Bildnis einprägen können,
du allein kannst sie umprägen
und ihr dein ausgelöschtes Antlitz
wieder eindrücken,
welches ist Jesus Christus,
mein Heiland, der dein Bild ist
und das Zeichen deines Wesens.

-61-


Vater im Himmel,
ich bitte weder um Gesundheit
noch um Krankheit,
weder um Leben noch um Tod,
sondern darum, dass du über meine Gesundheit
und meine Krankheit,
über mein Leben und meinen Tod verfügst
zu deiner Ehre und meinem Heil.

-62-


Du allein weißt, was mir dienlich ist.
Du allein bist der Herr,
tue, was du willst.
Gib mir, nimm mir,
aber mache meinen Willen dem deinen gleich.

-63-


So gib denn, Herr,
dass ich, wie ich auch sei,
mich in deinen Willen einordne;
und dass ich als Kranker
dich verherrliche in meinen Leiden.
Vereinige mich mit dir;
erfülle mich mit dir und deinem heiligen Geiste.
Gehe ein in mein Herz und in meine Seele,
um meine Leiden darin zu tragen,
damit ich, ganz erfüllt von dir,
nicht mehr selbst es bin, der lebt und leidet,
sondern damit du es bist,
der lebt und leidet in mir,
o mein Heiland!

-64-


diese Schrift mit Grafik

Titel der englischen Originalausgabe
„Spiritual Classics”
© 1991 Hunt & Thorpe, Alton, UK
Redaktion: Eva-Maria Busch
© der deutschen Ausgabe
1991 Brunnen Verlag Gießen
ISBN 3-7655-5306-9
Das Buch ist vergriffen.
Es wird hier mit freundlicher Genehmigung des
www.Brunnen-Verlag.de´s online gestellt.

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Begegnung mit Blaise Pascal

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