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Die Ortschronik von Reinhard Kuhlmann - Seite 224

Vom bitteren Ende.

(Aus dem Tagebuch des Verfassers.)

Oktober 1918. Es kommt uns immer mehr zum Bewußtsein, daß Deutschlands Sache verloren ist. Sollen wir es wirklich glauben? Wir waren zu siegessicher geworden und durch die lange Dauer des Krieges auch lau den Kriegern gegenüber. Jetzt fragen wir uns: Haben wir alles getan, was in unseren Kräften stand? Nun kommt es uns durch die Ereignisse der letzten Zeit wieder zum Bewußtsein, daß die Soldaten draußen unsere ureigenste Sache ausfechten. Wie wird's mit uns in der Heimat, wenn der Feind ehrenvolle Bedingungen für Deutschland ablehnt und es zum Kampf auf Leben und Tod kommt? Wird der Feind am Rhein halt machen oder mit seiner weißen, schwarzen und braunen Meute Deutschland überziehen, bis er in Berlin eingezogen ist? Sollen wir dann flüchten oder im Dorf bleiben? Diese Fragen bewegen uns jetzt. Äußerlich liegt tiefe Stille über unserm Dorf wie während des Krieges. Alles geht seiner Arbeit nach. Heute, den 28. Oktober, ist man noch am Kartoffelausmachen, auch Grummet liegt noch draußen. Mancher hat keine Zeit, in die Zeitung zu sehen, aber was die Uhr geschlagen hat, ahnen viele.

10. November 1918. Sonntag. Ich war gespannt auf die Waffenstillstandsbedingungen, an andere Überraschungen dachte ich nicht. Da erzählt mir mein Neffe, daß Umstürzler einem Gusternhainer Soldaten in Gießen das Seitengewehr abgenommen hätten, an Stelle der Kokarde eine rote Quaste an die Mütze geheftet und ihn dann zurück nach Gusternhain geschickt hätten. "Das ist die Revolution!", sagte ich mir. Dann erfahre ich die Abdankung des Kaisers. War das ein Schlag für uns! "Jetzt braucht der Pfarrer nicht mehr für den Kaiser zu beten", sagte ein Bauer. Ein anderer sagte: "Jetzt werden die Pfarrer abgesetzt." Die großen Ereignisse sind am Sonntag natürlich das Tagesgespräch überall, doch bleibt bei uns auf den Dörfern alles ruhig. Den meisten tuts doch leid, daß wir keinen Kaiser mehr haben. "Ein Oberhaupt muß doch sein", sagte meine Mutter zu mir. Der monarchische Gedanke lebt tief im Volke drin, besonders in den Bauern. Jeder weiß auch, daß mit dem neuen deutschen Kaiserreich (seit 1871) der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands verbunden war. Der Kirchenbesuch (unter Pfarrer Weyel schlecht) war heute ein wenig besser als gewöhnlich. In solchen Zeiten drängts die Menschen zur Geselligkeit, man will hören, seine Gefühle austauschen. Thielmanns Leonhard sagt mir heute Nachmittag, man habe dem Pfarrer an der Stimme die Ergriffenheit angemerkt, er habe so "heulerig" gesprochen. Zwei Breitscheider, die einberufen waren, sind wieder nach Hause gekommen. Man hat sie zurückgeschickt. Der 19 jährige Franze Ernst (Zeiler), der vor dem Ausrücken nach der Front stand und von Darmstadt noch einmal heimlich auf Urlaub hierher gereist war, kann nun auch nicht mehr zurück. So schwächen die Umstürzler unsere Front, und der Feind hat den Vorteil von der Revolution in Deutschland. Vielleicht wird in diesen Tagen ja der letzte Schuß an der Westfront verhallen, aber um noch möglichst günstige Friedensbedingungen zu erlangen, hätte Deutschland noch unbedingt ruhig und einig sein müssen. Es muß einem wirklich bange sein um die Zukunft.

11. November. Heute kommt die Nachricht vom Abschluß des Waffenstillstandes. Der Klavierhändler Magnus - Herborn besucht mich. Er zieht ein Sonderblatt aus der Tasche, das die Bedingungen enthält. Er ließt vor. Ich erschrecke und schlage die Hände zusammen. Es kommt immer trauriger von Punkt zu Punkt. Mein Besuch bringt auch die Nachricht, der Kaiser sei in Holland gefangen gesetzt. Wie mags ihm heute zumute sein? Trüb der Himmel, trüb die Herzen. Jetzt hat der Kaiser Muße,

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von Kornelia Pelz übersetzt

 

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zitiert aus dem "Herborner Tageblatt"

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